Für Marketing hat maschinelles Lernen schon heute wichtige Funktionen. Derzeit verwenden aber in erster Linie große Unternehmen ihre Technologien intern, allen voran Google. Selbstlernende Systeme sind noch so neu, dass man diese nicht einfach als Out-of-the-box-Lösung kaufen kann. Stattdessen entwickeln die großen Internetanbieter ihre eigenen Systeme und sind damit Impulsgeber auf diesem Gebiet. Da einige aber trotz des kommerziellen Interesses einen Open-Source-Ansatz verfolgen und mit der unabhängigen Wissenschaft zusammenarbeiten, nehmen die Entwicklungen auf dem Gebiet immer mehr Geschwindigkeit auf.
Marketing hat neben der kreativen Seite auch immer einen analytischen Aspekt: Statistiken zum Kundenverhalten (Kaufverhalten, Besucherzahlen von Websites, Benutzung von Apps usw.) spielen eine große Rolle bei der Entscheidung für bestimmte Werbemaßnahmen. Je größer die Datenmenge ist, desto mehr Informationen können in der Regel daraus gezogen werden. Damit man so einen Berg an Merkmalen verarbeiten kann, benötigt man intelligente Programme. An dieser Stelle setzen selbstlernende Systeme an: Die angelernten Computerprogramme erkennen Muster und können fundierte Voraussagen machen, wozu Menschen, die grundsätzlich voreingenommen mit Daten umgehen, nur begrenzt fähig sind.
Ein Analyst geht in der Regel mit einer bestimmten Erwartungshaltung an Messdaten heran. Diese Vorurteile sind für Menschen kaum vermeidbar und oft Grund für Verzerrungen der Ergebnisse. Je größere Datenmengen die Analysten bearbeiten, desto stärker dürften die Abweichungen sein. Zwar können auch intelligente Maschinen Vorurteile haben, denn sie wurden von Menschen ungewollt darauf trainiert, aber gerade bei harten Fakten gehen sie objektiver vor. Maschinen liefern daher meist aussagekräftigere Analysen.
Selbstlernende Systeme verbessern und erleichtern außerdem die Darstellung der Analyse-Ergebnisse: Automated Data Visualization nennt man eine Technik, bei der der Computer selbstständig die richtige Darstellung von Daten und Informationen wählt. Das ist besonders wichtig, damit Menschen auch verstehen, was die Maschine entdeckt und prognostiziert hat. In der großen Datenflut wird es schwierig, Messergebnisse selbst darzustellen. Daher muss auch die Visualisierung über die Berechnungen der Computer laufen.
Doch auch auf Seiten der Content-Erstellung kann Machine Learning Einfluss nehmen – Stichwort: generatives Design. Statt für alle Nutzer die gleiche Customer Journey zu entwerfen – also die Schritte, die der Kunde bis zum Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung durchläuft –, können dynamische Systeme basierend auf Machine Learning individuelle Erlebnisse gestalten. Die Inhalte, die dem Nutzer auf einer Website angezeigt werden, werden zwar weiterhin von Textern und Designern bereitgestellt, aber das System fügt die Komponenten speziell für den Nutzer zusammen. Inzwischen werden selbstlernende Systeme auch eingesetzt, um selbst zu designen: Mit dem Project Dreamcatcher ist es z. B. möglich, Bauteile von einer Maschine gestalten zu lassen.
Man kann Machine Learning auch verwenden, um z. B. Chatbots besser zu gestalten. Viele Unternehmen setzen schon heute Programme ein, die einen Teil des Kundensupports über einen Chatbot erledigen. Doch in vielen Fällen sind Nutzer schnell genervt von den maschinellen Mitarbeitern: Die Fähigkeiten der aktuellen Chatbots sind meist sehr begrenzt und die Antwortmöglichkeiten basieren auf manuell gepflegten Datenbanken. Ein Chatbot, der auf einem selbstlernenden System basiert und eine gute Spracherkennung (Natural Language Processing) hat, kann Kunden das Gefühl vermitteln, wirklich mit einer Person zu kommunizieren – und damit den Turing-Test bestehen.
Amazon oder Netflix machen eine weitere für Marketer wichtige Entwicklung des Machine Learnings vor: Empfehlungen. Ein großer Faktor für den Erfolg dieser Anbieter besteht darin, vorherzusehen, was der Nutzer als nächstes haben möchte. Abhängig von den gesammelten Daten können die selbstlernenden Systeme dem Nutzer weitere Produkte empfehlen. Was früher nur im Großen ging („Unseren Kunden gefällt Produkt A, also wird den meisten auch Produkt B gefallen.“), ist durch moderne Programme inzwischen auch im Kleinen möglich („Der Kundin X haben die Produkte A, B und C gefallen, weshalb ihr wahrscheinlich auch Produkt D gefallen wird.“).
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass selbstlernende Systeme das Onlinemarketing in vier wichtigen Punkten beeinflussen werden:
- Menge: Programme, die mit Machine Learning funktionieren und gut trainiert wurden, können riesige Datenmengen verarbeiten und damit Prognosen für die Zukunft abgeben. Marketing-Experten ziehen so bessere Rückschlüsse auf den Erfolg oder Misserfolg von Kampagnen und Maßnahmen.
- Geschwindigkeit: Analysen kosten Zeit – wenn man diese von Hand anfertigen muss. Durch selbstlernende Systeme wird die Arbeitsgeschwindigkeit erhöht und man kann schneller auf Veränderungen reagieren.
- Automatisierung: Durch Machine Learning ist es einfacher, Vorgänge zu automatisieren. Da sich moderne Systeme mithilfe des maschinellen Lernens eigenständig an neue Gegebenheiten anpassen können, sind auch komplexe Automatisierungsprozesse möglich.
- Individualität: Computerprogramme können unzählige Kunden betreuen. Da selbstlernende Systeme Daten von einzelnen Nutzern erfassen und verarbeiten, können sie diese Kunden auch umfassend betreuen. Individuelle Empfehlungen und speziell entwickelte Customer Journeys helfen, Marketing effektiver einzusetzen.