Deep Learning: Wenn das menschliche Gehirn zum Vorbild wird

Wer mit Siri oder Googles Sprachassistent spricht, nutzt bereits heute selbstverständlich Deep Learning. Ohne die Technologie könnten die Stimmen aus Smartphone und Lautsprecher keine passenden Antworten liefern und unsere gesprochene Sprache verstehen.

Deep Learning ist nicht neu, aber erst seit wenigen Jahren konnte es so weit verbessert werden, dass es realen Mehrwert liefert und ersten Einzug in unseren Alltag gehalten hat. Und die Entwicklung auf dem Gebiet läuft in Höchstgeschwindigkeit ab. Megakonzerne wie Google forschen intensiv zu Deep Learning – nicht nur, damit wir eines Tages menschengleiche Gespräche mit dem Google Assistant führen können. Die Einsatzgebiete sind vielfältig.

Wir erklären, wie die Technologie funktioniert, welche Stärken und Schwächen sie hat und welche Einsatzbereiche heute und in Zukunft entstehen.

Was ist Deep Learning?

Damit Computer in den Augen von Menschen intelligent sind, müssen sie vor allem eins können: selbstständig lernen. Deep Learning ist damit ein Bereich des wissenschaftlichen Forschungsfelds künstliche Intelligenz. Genauer: Es ist Teilbereich des Machine Learnings. Es gibt viele unterschiedliche Methoden, um maschinelles Lernen umzusetzen, eine Methode ist Deep Learning.

Definition: Deep Learning

Deep Learning ist ein Teilbereich des Machine Learnings, bei dem Computer große Datenmengen mithilfe von neuronalen Netzen verarbeiten, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Mithilfe neuer Informationen können bestehende Verknüpfungen geändert und erweitert werden, sodass das System ohne menschliches Eingreifen dazulernt und immer bessere Entscheidungen und Prognosen liefert.

Zur Informationsverarbeitung werden künstliche neuronale Netze eingesetzt, die aus einer Eingangsschicht, einer oder mehreren Mittelschichten (Layern) und einer Ausgangsschicht bestehen. Informationen treffen als Eingabe-Vektor auf die Eingangsschicht, werden über künstliche Neuronen in den mittleren Schichten gewichtet und schließlich wird ein bestimmtes Muster auf der Ausgangsschicht ausgegeben. Je mehr Schichten ein künstliches neuronales Netz enthält, desto komplexer können die Aufgaben sein, die die KI bewältigt.

Beispiel: Bilderkennung

Sollen Bilder danach sortiert werden, ob darauf Hunde, Katzen oder Menschen zu sehen sind, ist das für Computer eine herausfordernde Aufgabe. Denn was für Menschen unmittelbar bei der Betrachtung klar ist, muss sich der Computer erst durch die Analyse einzelner Bildmerkmale erschließen.

Beim Deep Learning wird die Rohdateneingabe, in diesem Fall das Bild, Schicht für Schicht analysiert. In einer ersten Schicht eines künstlichen neuronalen Netzes prüft das System beispielsweise, welche Farben die einzelnen Bildpixel aufweisen. Jeder Bildpixel wird über ein eigenes Neuron verarbeitet. In der folgenden Schicht werden Kanten und Formen identifiziert und in der darauffolgenden Schicht wird auf komplexere Merkmale geprüft.

Die gesammelten Informationen werden in einem flexiblen Algorithmus abgebildet. Die Ergebnisse einer Schicht werden dabei jeweils in die Folgeschicht weitertransportiert und verändern den Algorithmus. So ist der Computer in der Lage, durch eine Vielzahl von Operationen schließlich zu entscheiden, ob ein Bild der Kategorie Hund, Katze oder Mensch zuzuordnen ist.

Zu Beginn steht ein Training, in dem Zuordnungsfehler durch Menschen korrigiert werden. Dadurch wird der Algorithmus angepasst. Nach kurzer Zeit kann er seine Bilderkennung eigenständig verbessern. Indem die Verknüpfung zwischen den Neuronen des Netzwerks verändert und die Gewichtung von Variablen innerhalb des Algorithmus angepasst wird, führen bestimmte Eingabemuster (Katzenbilder in diversen Varianten) immer fehlerfreier zu denselben Ausgabemustern (Katze erkannt). Je mehr Bildmaterial dem System zum Lernen vorliegt, desto besser.

Für Menschen lässt sich beim Deep Learning nicht immer nachvollziehen, welche Muster der Computer erkannt hat, um zu seinen Entscheidungen zu kommen. Zumal das System seine Entscheidungsregeln kontinuierlich selbst optimiert.

Historie des Deep Learnings

Deep Learning als Begriff ist zwar relativ jung – er wurde um 2000 erstmals erwähnt –, doch die Methode, künstliche neuronale Netze zu verwenden, um Computer zu intelligenten Entscheidungen zu befähigen, sind viele Jahrzehnte alt.

Die Grundlagenforschung in dem Bereich reicht zurück bis in die 1940er-Jahre. Künstliche neuronale Netze wurden erstmals in den 1980er-Jahren entwickelt. Doch die Qualität der Entscheidungen war damals enttäuschend. Denn das eigenständige Lernen der Maschinen, das Deep Learning, benötigt große Datenmengen. Genau diese waren damals digital jedoch noch nicht verfügbar. Erst um die Jahrtausendwende begann das Zeitalter von Big Data, wodurch das Interesse von Wissenschaft und Wirtschaft an Deep Learning wieder aufflammte.

Stärken und Schwächen

Deep Learning ist im Vergleich zu früheren KI-Technologien deutlich leistungsfähiger. Daher ist die große mediale Aufmerksamkeit durchaus berechtigt und das Interesse der Forschung begründet. Doch ehe die Technologie ihr volles Potenzial entfalten kann, müssen noch einige Schwächen beseitigt werden.

Stärken des Deep Learnings

Eines der wichtigsten Argumente für Deep Learning ist die Qualität der Ergebnisse. Gerade in der Bilderkennung und der Sprachverarbeitung ist die Technologie allen anderen klar überlegen. Hochwertige Trainingsdaten vorausgesetzt, kann Deep Learning Routinearbeiten deutlich effizienter und schneller als jeder Mensch ausführen – und das ganz ohne Ermüdungserscheinungen und in gleichbleibender Qualität.

Bei anderen Formen des maschinellen Lernens analysieren Entwickler die Rohdaten und definieren regelmäßig zusätzliche Features, die der Algorithmus beim Lernen berücksichtigen soll, um die Vorhersagekraft der KI zu verbessern. Beim Deep Learning erkennt das System selbst nützliche Variablen und bindet sie in seinen Lernprozess ein. Es kann nach einer initialen Schulung ohne menschliche Anleitung lernen. Das spart Zeit und Kosten. Denn es wird kein fachlich versiertes Personal für die Feature-Entwicklung benötigt.

Um maschinelles Lernen zu ermöglichen, mussten bisher große Mengen von Daten manuell gekennzeichnet werden. Bei der Bilderkennung wurden beispielsweise Mitarbeiter benötigt, die Bildern das Label Hund oder Katze zuwiesen. Bei Deep Learning fällt das manuelle Training wesentlich kürzer aus. Das ist vor allem deshalb relevant, weil in der unternehmerischen Praxis zwar große Datenmengen angesammelt werden, diese jedoch nur in den wenigsten Fällen als strukturierte Daten vorliegen (Telefonnummern, Adresse, Kreditkarten etc.). Meist sind sie als unstrukturierte Daten gespeichert (Bilder, Dokumente, E-Mails etc.). Anders als alternative Methoden des Machine Learnings kann Deep Learning verschiedene Quellen unstrukturierter Daten mit Blick auf die angelegte Aufgabenstellung auswerten.

Das Argument, dass die Technologie zu kostspielig in der Anwendung ist, als dass sie sich als massentauglich erweist, verliert seine Kraft. Zunehmend entstehen Services wie Googles Vision oder IBMs Watson, die es Unternehmen erlauben, auf vorhandene neuronale Netze aufzubauen, statt diese von Grund auf entwickeln zu müssen. Damit wird Deep Learning seine Stärken in Zukunft mehr und mehr in der Unternehmenspraxis ausspielen können.

Stärken auf einen Blick

  • Bessere Ergebnisse als mit anderen Methoden des Machine Learnings
  • Keine Feature-Entwicklung und kein Datenlabeling nötig
  • Effiziente Erledigung von Routinearbeiten ohne Qualitätsschwankungen
  • Problemloser Umgang mit unstrukturierten Daten
  • Zunehmend Services zur vereinfachten Nutzung künstlicher neuronaler Netzwerke

Schwächen des Deep Learnings

Deep Learning erfordert enorm viel Rechenleistung, um die neuronalen Netze zu unterhalten und die benötigte große Datenmenge zu verarbeiten. Die Rechenleistung ist dabei maßgeblich von der Komplexität und Schwierigkeit der zu lösenden Aufgabe und der Größe des verwendeten Datensatzes abhängig. Das machte die Technologie bisher teuer und nur für Forschung und wenige Megakonzerne einsetzbar.

Zwar sind hier Fortschritte zu beobachten. Was sich in absehbarer Zukunft jedoch nicht ändern wird, ist die Tatsache, dass Entscheidungen, die von Deep Learning gefällt werden, für Menschen nicht mehr detailliert nachvollziehbar sind. Das neuronale Netz ist (bisher) eine Blackbox. Für einige Anwendungsfälle, bei denen Nachvollziehbarkeit entscheidend ist, ist die Technologie daher irrelevant.

Damit Deep Learning überhaupt funktioniert, werden große Sätze von Trainingsdaten benötigt. Stehen diese Datenmengen nicht zur Verfügung, können Computer mithilfe von Deep Learning bisher keine guten Ergebnisse liefern. Zwar werden erste Bibliotheken für neuronale Netze veröffentlicht, die die Anwendung von Deep Learning für die breitere Masse vereinfachen. Doch nicht für jeden Anwendungsfall sind die Services geeignet, sodass die Entwicklung von Lernalgorithmen für Deep Learning weiterhin ein hohes Zeitinvestment erfordert und potenziell mehr Zeit benötigt als die Verwendung alternativer Methoden.

Schwächen auf einen Blick

  • Erfordert hohe Rechenleistung
  • Entwicklung von Lernalgorithmen braucht verhältnismäßig viel Zeit
  • Große Datenbasis ist notwendig
  • Mehr Trainingsdaten als bei anderen Methoden des Machine Learnings erforderlich
  • Entscheidungen kaum oder gar nicht nachvollziehbar (Black Box)

Einsatzgebiete für Deep Learning

Deep Learning wird bereits in verschiedenen Branchen eingesetzt und wird in Zukunft noch in deutlich mehr Bereichen unseres Alltags anzutreffen sein.

User Experience

Einige Chatbots werden bereits über Deep Learning optimiert, sodass sie immer besser auf Kundenanfragen reagieren können und den menschlichen Kundensupport entlasten.

Sprachassistenten

Deep Learning kommt, wie erwähnt, in diversen Sprachassistenten wie Alexa, Google Assistant oder Siri zum Einsatz. Sie erweitern eigenständig ihren Wortschatz und ihr Sprachverständnis.

Übersetzungen

In einigen Übersetzungsprogrammen kommt bereits Deep Learning zum Einsatz. Dank der Technologie können auch Dialekte und Texte auf Bildern automatisch in andere Sprachen übertragen werden, was mit bisherigen maschinellen Lernanwendungen, die auf strukturierte Daten angewiesen sind, nicht möglich war.

Texterstellung

Computer können mithilfe von Deep Learning Texte erstellen, die nicht nur in Grammatik und Rechtschreibung korrekt sind, sondern auch den Stil eines Autors nachahmen – vorausgesetzt, sie erhalten genug Trainingsmaterial. In ersten Versuchen erstellten KI-Systeme dank Deep Learning Artikel für Wikipedia und täuschend echte Shakespeare-Texte.

Cybersicherheit

KI-Systeme mit Deep Learning sind durch ihr eigenständiges und kontinuierliches Lernen besonders geeignet, um Unregelmäßigkeiten in Systemaktivitäten festzustellen. Sie können so auf mögliche Hackerangriffe aufmerksam machen. Indem das System Videomaterial hinzuzieht, lassen sich auch besonders gefährdete Orten wie Flughäfen besser sichern, weil der Computer Auffälligkeiten im normalen Flughafentreiben erkennt.

Finanzen

Die Fähigkeit, Anomalien zu erkennen, lässt sich im sensiblen Bereich der Finanztransaktionen besonders gut einsetzen. Wird der Algorithmus entsprechend trainiert, können so Angriffe auf Bankennetzwerke und Kreditkartenbetrug wirksamer als bisher abgewehrt werden.

Marketing und Vertrieb

KI-Systeme können mithilfe von Deep Learning Sentiment-Analysen durchführen, d. h. sie können aus Kundennachrichten (Chat und E-Mail) herausfiltern, ob sich darin Ärger wiederfindet, und diese dann priorisiert an menschliche Mitarbeiter weiterleiten.

Die Systeme könnten auch eigenständig definierte Maßnahmen ergreifen, um die Zufriedenheit des Kunden wiederherzustellen und eine Kündigung zu verhindern. Durch die Auswertung der gesammelten Kundendaten im CRM könnten Systeme mit Deep Learning KI zudem Vorhersagen treffen, wie sich der Kunde in Zukunft verhalten wird, sodass gezielte Maßnahmen an kaufbereite oder an Kunden, die eine Kündigung erwägen, ausgespielt werden können.

Autonomes Fahren

Dass Autos ohne menschliche Fahrer sicher am Straßenverkehr teilnehmen, ist immer noch eine Zukunftsvision. Doch die Technologie existiert. In ihr werden verschiedene Deep-Learning-Algorithmen kombiniert: Ein Algorithmus erkennt beispielsweise Verkehrsschilder, ein anderer ist darauf spezialisiert, Fußgänger zu orten.

Industrie-Roboter

Roboter mit Deep-Learning-KIs könnten in vielen Industriebereichen eingesetzt werden. Allein durch Beobachten eines Menschen könnten die Systeme lernen, wie sie Maschinen bedienen müssen, und sich dann selbst optimieren.

Maintenance

Vor allem im Bereich der industriellen Wartung bieten sich wichtige Einsatzmöglichkeiten. Bei komplexen Anlagen müssen eine Vielzahl von Parametern kontinuierlich überwacht werden, um die Sicherheit zu gewährleisten. Deep Learning könnte die komplexen Systeme nicht nur auf ihre fehlerfreie Funktion überwachen, sondern auch Prognosen abgeben, welche Einheiten eines Systems bald zu warten sind (Predictive Maintenance).

Medizin

Deep-Learning-KIs können Bilder wesentlich genauer nach Anomalien scannen als ein menschliches Auge, selbst ein geschultes. Auf CT- oder Röntgen-Bildern können mithilfe der intelligenten Systeme so früher als bisher Krankheiten erkannt werden, was die Heilungschancen von Patienten verbessert.

Deep Learning: Großes Potenzial, aber keine Universallösung

Im öffentlichen Diskurs entsteht teilweise der Eindruck, als sei Deep Learning die einzige Zukunftstechnologie für KI. Tatsächlich ermöglicht Deep Learning für viele Anwendungsfälle deutlich bessere Ergebnisse als bisherige Verfahren. Das enorme Potenzial der künstlichen neuronalen Netze ist noch lange nicht erschlossen und die Anwendung befindet sich noch in den Kinderschuhen.

Doch Deep Learning ist nicht für jedes Problem die beste technologische Lösung. Es gibt andere Herangehensweisen, um Computer „intelligent“ zu machen – Lösungen, die auch mit kleineren Datensätzen arbeiten und bei denen Menschen die Entscheidungswege nachvollziehen können.

Einige KI-Forscher betrachten Deep Learning als vorübergehendes Phänomen und sind überzeugt, dass sich bessere Ansätze finden werden, die sich nicht am menschlichen Gehirn orientieren. Dass die kritischen Stimmen nicht zu vernachlässigen sind, zeigt Googles Unternehmensstrategie: Dort ist Deep Learning nur ein Teil der KI-Strategie. Daneben verfolgt man weitere Methoden des maschinellen Lernens sowie die Entwicklung von Quantencomputern.