Anforderungsmanagement: Schlüsselstelle für den Erfolg von IT-Projekten

Das Budget steht fest, das Ziel ist umrissen und die Timeline definiert: Unternehmen eilen an dieser Stelle häufig direkt in die Umsetzung, statt sich ausreichend Zeit zu nehmen, um systematisch die Anforderungen aller Stakeholder an das angestrebte Produkt einzuholen und die Spezifikationen zu managen. Das Ergebnis: Nur bei 56 Prozent der IT-Projekte waren die ursprünglich definierten Anforderungen Teil des Endprodukts. Damit wird Zeit und Budget verschwendet. Mit einem strukturierten Anforderungsmanagement lässt sich das vermeiden.

Was ist Anforderungsmanagement?

Das Anforderungsmanagement, auch Requirements Engineering oder Requirements Management, ist ein elementarer Bestandteil des Projektmanagements in Unternehmen. Ziel ist es, sicherzustellen, dass die Anforderungen von Kunden sowie internen und externen Stakeholdern an das anzufertigende Produkt erfüllt werden.

Die Disziplin umfasst die Anforderungsdefinition (Anforderungsanalyse, Anforderungsdokumentation, Anforderungsvalidierung) und die Anforderungsverwaltung (Risiko-, Änderungs- und Umsetzungsmanagement). Sie ist damit keine einmalige Aufgabe, die zu Beginn eines Projekts ausgeführt wird, sondern eine Abfolge wiederkehrender Prozesse, die sich über die gesamte Projektdauer erstrecken. Ein verantwortlicher Manager, der Requirements Engineer, überwacht die Umsetzung und Integration von Anforderungen, Änderungen und sich daraus ergebende sowie den Projektverlauf.

Relevanz des Anforderungsmanagements

Im Technologie-Sektor ist das IT-Anforderungsmanagement vergleichsweise etabliert. Wenn in IT-Projekten zu Beginn nicht genau geklärt wird, was die zu entwickelnde Software leisten können und welche Prozesse sie unterstützen soll, sind Probleme im späteren Projektverlauf vorprogrammiert. Die Zeit- und Ressourcenplanung kann auf dieser Basis nicht realistisch erfolgen und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass Kunden mit diversen Änderungswünschen das Projekt in die Länge ziehen und das Budget überreizen. Werden Änderungswünsche dann nicht kompetent gemanagt, treibt dies den Aufwand weiter in die Höhe.

Das Anforderungsmanagement ist jedoch branchenunabhängig sinnvoll und wichtig. Vor allem in umfangreichen Projekten mit komplexen Produkten sorgt es dafür, dass die Effizienz über die Projektdauer auf einem hohen Niveau bleibt und Fehler sowie Unstimmigkeiten zwischen den Projektpartnern vermieden werden. Probleme, die sich aus veränderten Kundenwünschen ergeben, kann ein Requirements Engineer frühzeitig erkennen und Maßnahmen festlegen, um negative Effekte abzupuffern.

Selbst wenn Kunden initial durch die ausführliche Anforderungsaufnahme ein höherer Aufwand entsteht, die Kundenzufriedenheit profitiert von einem strukturierten Anforderungsmanagement.

Dennoch wird die Bedeutung von Anforderungsdefinition und -management für den Projekterfolg von Unternehmen tendenziell unterschätzt – selbst in Technologieprojekten, in denen das IT-Anforderungsmanagement verbreitet ist. Anders ist es kaum zu erklären, dass 52 Prozent aller IT-Projekte laut der CHAOS Studie der Standish Group den Zeit- und Budget-Rahmen sprengen. Nur 55 Prozent der Befragten hielten das Requirements Management für wichtig oder sehr wichtig. Die restlichen Befragten maßen dem Anforderungsmanagement nur eine mittlere oder schwache Bedeutung für den Projekterfolg zu. Ein folgenschwerer Irrtum, wie die Zahl der planmäßig abgeschlossenen Projekte zeigt.

Vorteile auf einen Blick

  • höhere Projekteffizienz
  • weniger Änderungsanforderungen im Projektverlauf
  • weniger Fehler und Unstimmigkeiten
  • frühes Erkennen von Problemen und Änderungsnotwendigkeiten
  • geringere Projektkosten, da Folgekosten aus Fehlern vermieden werden
  • Projektabschluss „in time and budget“
  • höhere Kundenzufriedenheit

Methoden und Instrumente des Anforderungsmanagements

Zu den wichtigsten Aufgaben des Requirements Managements gehören die Anforderungserhebung, -dokumentation und -analyse sowie im Projektverlauf das Management von Änderungen.

Anforderungserhebung

Zunächst müssen die Anforderungen der unterschiedlichen Stakeholder erfasst werden. Dem Requirements Engineer stehen verschiedene Methoden zur Verfügung, um die Bedürfnisse und Wünsche von Stakeholdern und Kunden herauszuarbeiten und daraus eine Anforderungsdokumentation zu erstellen.

  • Interviews: Der Requirements Engineer kann persönliche oder telefonische Interviews mit den Stakeholdern durchführen.
  • Fragebögen: Auch eine schriftliche Befragung ist möglich, um in strukturierter Form Anforderungen zu erheben. So können die Erwartungen einer großen Zahl von Stakeholdern erfasst werden.
  • Workshops: Mithilfe von Kreativitätstechniken können die Stakeholder in Workshops angeleitet werden, Aspekte zu entdecken, die im Projekt berücksichtigt werden müssen, die sie durch einfaches Brainstorming nicht bedacht hätten.
  • Feldbeobachtungen: Der Requirements Engineer beobachtet die Arbeitsabläufe der Stakeholder und dokumentiert diese per Text, Audioaufnahme oder Video.
  • Apprenticing: Der Requirements Engineer erlernt die Tätigkeit des Stakeholders. Diesem werden durch das Erklären seiner Arbeit wichtige Anforderungen das Projekt bewusst.
  • Systemarchäologie: Bei IT-Infrastrukturen, die nicht oder kaum dokumentiert sind, kann der Requirements Engineer mit einer Untersuchung des Systems und einer Dokumentation beginnen. Hierzu kann seine eigene Analyse mit Befragungen von Systemanwendern ergänzt werden.
  • Reuse: Soll ein technisches System erneuert werden, ist es wahrscheinlich, dass Basis-Workflows, an die sich Anwender gewöhnt haben, beibehalten werden sollen. Statt alle Anforderungen neu zu erarbeiten, sollte auf vorhandene Dokumentationen zurückgegriffen werden.

Anforderungsdokumentation

Das Lastenheft bildet die vertragliche Grundlage zwischen den Projektpartnern. Es ist das erste Produkt, das im Zuge des Requirements Managements zu erstellen ist. Im Lastenheft werde sämtliche Anforderungen des Auftraggebers an die Leistung und Lieferung des Auftragnehmers festgeschrieben. Es regelt, was geleistet werden soll. Anschließend kann in einem Pflichtenheft definiert werden, wie die Umsetzung geschehen soll.

In vielen Fällen ist es sinnvoll, die Anforderungen nicht nur textlich, sondern auch grafisch festzuhalten, vor allem, wenn Systeme, Prozesse und Use Cases beschrieben werden sollen. Hier kommen in der Regel UML-Diagramme zum Einsatz.

Anforderungsanalyse

Nach der Erfassung und Erhebung ist es Aufgabe im Requirements Management, die Anforderungen zu analysieren. Widersprüchliche Anforderungen müssen gekennzeichnet und mit den Stakeholdern geklärt werden. Außerdem sollte der Manager Risiken erfassen und beurteilen (Einschätzung anhand von potenziellem Schadenausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit). Eine erste Priorisierung der Anforderungen ist ebenfalls vorzunehmen.

Anschließend ist die Anforderungsdokumentation den Stakeholdern zur Prüfung vorzulegen. Erst wenn eine gemeinsame Einigung auf ein Lastenheft stattgefunden hat, sollte mit der Projektumsetzung begonnen werden.

Änderungsmanagement

In (fast) jedem Projekt wird es im Verlauf zu Änderungsanforderungen kommen. Um Diskussionen über den zusätzlich entstandenen Aufwand klein zu halten und bei Unzufriedenheit des Kunden schnell zum alten Projektstand zurückkehren zu können, hat es sich bewährt, Versionierung einzusetzen. Diese Methode stammt ursprünglich aus der Software-Entwicklung, wird aber auch im Projektmanagement verwendet. Dabei werden Projektstände dokumentiert und aktuelle Stände als neue Baseline gekennzeichnet. So ist ein leichter Abgleich von alten und aktuellen Anforderungsumfängen möglich.

Anforderungsmanagement in klassischen und agilen Projekten

Viele Unternehmen gehen davon aus, dass ein Anforderungsmanagement in agilen Projekten nicht notwendig ist, da sich der Scope ohnehin im Verlauf des Projekts verändert. Doch das ist ein Irrtum.

Ein Großteil der Aufgaben, die zum Anforderungsmanagement gehören, wird in agilen Projekten vom Product Owner übernommen. Er überwacht und steuert den Projektablauf und damit die Umsetzung der Anforderungen. Außerdem priorisiert er Anforderungen und koordiniert Änderungen. Dies sind klassische Aufgaben eines Anforderungsmanagers.

Wenn der Product Owner nicht alle Aufgaben des Anforderungsmanagements allein bewältigen kann, können weitere Mitarbeiter benannt werden, die auf die Aufnahme neuer Anforderungen achten und die Dokumentation, z. B. von Änderungen, aktuell halten.

Das Anforderungsmanagement in agilen Projekten ist zwar weniger umfangreich, jedoch genauso wichtig wie bei klassisch gemanagten Projekten nach dem Wasserfall-Prinzip.