ARPANET: Das Internet in den Kinderschuhen

So gut wie jeder kennt das Internet – und sogar Menschen, die selbst keinen Zugang dazu haben, verfügen über eine ungefähre Vorstellung davon, was das globale Netzwerk ist. Aber haben Sie auch schon mal vom Arpanet gehört? Bevor es das Internet gab, gab es Arpanet. Zwar existiert dieses Netzwerk schon seit 1990 nicht mehr und ist seitdem mehr und mehr in Vergessenheit geraten, aber das Wissen um seine Funktionsweise und Entwicklungsgeschichte ermöglichen uns ein tieferes Verständnis des Internets von heute.

Arpanet – die Geschichte des Netzwerks

In den 1960er-Jahren begann der Siegeszug der Computer. Für Heimanwender waren die technischen Geräte aufgrund ihres Preises meist noch unerschwinglich, doch in den Bereichen Wissenschaft und Militär waren die Rechenmaschinen kaum mehr wegzudenken – und auch für kleine und mittlere Unternehmen gewannen sie zunehmend an Bedeutung. Um einen schnelleren Informationsaustausch zu ermöglichen, strebten viele schon damals eine Vernetzung der Maschinen an. Zum Verständnis: In den 60ern mussten Wissenschaftler Daten immer noch in Form von Ausdrucken versenden – ein umständlicher und zeitaufwendiger Vorgang. Weiterhin muss man den historischen Kontext bedenken, um die Entwicklung des Arpanets richtig einordnen zu können: Die USA befanden sich im Kalten Krieg mit der Sowjetunion.

Die beiden Großmächte betrieben zu diesem Zeitpunkt nicht nur ein rasantes Wettrüsten und einen aussichtslosen Stellvertreterkrieg in Vietnam, auch im Bereich der Wissenschaft versuchte man, sich gegenseitig zu überbieten – beispielsweise was die Raumfahrt betraf. Berücksichtigt man die damalige politische Lage, so ist es kaum mehr verwunderlich, dass der Auftrag zur Gründung eines US-amerikanischen Computernetzwerkes vom Militärs ausging – genauer gesagt von der Advanced Research Projects Agency (ARPA). Der damalige Präsident Dwight D. Eisenhower (auf ihn geht auch die bekannte Eisenhower Matrix zurück) hatte ARPA bereits 1958 als Behörde des Verteidigungsministeriums gegründet und damit auf den Start des sowjetischen Sputnik-Satelliten reagiert.

Um wissenschaftliche Projekte besser koordinieren zu können und dadurch den Forschungsvorsprung der Sowjetunion aufzuholen, hatte die Behörde die Aufgabe, militärische Forschungsprojekte zentral zu organisieren (unter dem Namen DARPA ist die Behörde übrigens bis heute aktiv). Zu diesem Zweck widmete man sich auch dem Vorhaben, Rechner verschiedener universitärer Forschungseinrichtungen miteinander zu vernetzen. 1962 übernahm der Informatiker und Psychologe J. C. R. Licklider einen Direktionsposten bei ARPA. Er selbst hatte bereits eine konkrete Idee für ein Netzwerk und konnte die beiden IT-Pioniere Robert Taylor und Ivan Sutherland für seine Vision begeistern. Die beiden Informatiker forschten fortan an einem dezentralen Netzwerk (Licklider selbst verließ ARPA und damit das Projekt bereits im Jahr 1964).

Zwar gab es zunächst seitens des Verteidigungsministeriums keine Unterstützung, doch 1965 verzeichnete die Forschungsarbeit erhebliche Erfolge und 1969 konnte sie abgeschlossen werden. Für die technische Realisierung beauftragte man dann BBN Technologies – ein IT-Unternehmen, für das interessanterweise Licklider lange Zeit als Vizepräsident gearbeitet hatte.

Am 29. Oktober 1969, also ungefähr drei Monate, nachdem Buzz Aldrin und Neil Armstrong als erste Menschen den Mond betreten hatten, konnte der Programmierer Charley Kline die erste komplett lesbare Nachricht über ARPANET versenden: „login“. Zu diesem Zeitpunkt bestand das neu entwickelte Netzwerk aus genau vier Rechnern an vier verschiedenen Standorten: der University of California, Los Angeles (UCLA), der University of California, Santa Barbara (UCSB), dem Stanford Research Institute (SRI International) und der University of Utah (UU).

Fakt

Strenggenommen fand die erste Übertragung bereits eine Stunde vorher statt. Auch dabei hatte Kline versucht, das Wort „login“ zu versenden, doch nach L und O brach die Verbindung ab. Nachdem die Verantwortlichen den Fehler behoben hatten, konnte der zweite, diesmal erfolgreiche Datentransport starten.

Nach und nach baute man das Netzwerk aus und verband weitere US-amerikanische Universitäten und Behörden miteinander. 1973 schaffte das Netzwerk schließlich den Sprung über den Atlantik und wurde auch in Europa eingesetzt. 1983 nutzte man das Netzwerkprotokoll TCP/IP auch für das Arpanet und machte dadurch das ältere Netzwerk prinzipiell zu einem Teil des Internets. 1990 wurde Arpanet schließlich eingestellt und durch das seit 1985 existierende NSFNet ersetzt – schon 1995 stellte man aber auch NSFNet wieder ein.

Die Technik hinter dem Arpanet

Zur Entstehung des Arpanets haben mehrere technische Entwicklungen und informationswissenschaftliche Ideen beigetragen. Einige der grundlegenden Erfindungen kamen dabei gar nicht von den beauftragten Wissenschaftlern selbst, sondern wurden – ganz im Sinne einer offenen, globalen Wissenskultur – von anderen Forschern beigesteuert.

Dezentrales Netzwerk

Die grundlegende Idee kam von J. C. R. Licklider und manifestierte sich zunächst in seiner Vision vom Intergalactic Computer Network. Er wollte ein Netzwerk entwickeln, das unabhängig vom Standort der Computer, der verwendeten Systeme und – im Idealfall – sogar unabhängig von den IT-Kenntnissen der Nutzer funktionierte. Innerhalb eines solchen Netzwerkes sollte jeder Teilnehmer (das galt sowohl für den menschlichen Nutzer als auch für die verwendete Maschine) mit jedem anderen kommunizieren können. Dazu waren bzw. sind zwar Knotenpunkte notwendig, aber dennoch gibt es keine zentrale Stelle, von der aus Daten verteilt werden.

Dies bedeutet, dass man die zum damaligen Zeitpunkt vorherrschende Idee der Ende-zu-Ende-Verbindung aufgab, wie man sie von Telefonaten her kannte: An einer zentralen Schnittstelle werden Telefonate angenommen und dann von Telefonisten weitervermittelt, also eine direkte Leitung zum Empfänger hergestellt.

Packet-Switching

Innerhalb des dezentralen Netzwerks versendet man Datenpakete. Dabei werden allerdings nicht alle zu übertragenden Informationen in ein Paket gesteckt und dann auf den Weg geschickt, sondern man teilt sie stattdessen in mehrere Pakete auf: Das Schlagwort dafür ist Paketvermittlung oder Packet-Switching. Jedes Paket funktioniert unabhängig von seinen Geschwistern (also den anderen Paketen, die Teile der Information übertragen). Das bedeutet auch, dass die Pakete unterschiedliche Wege nehmen können, denn es gibt ja keine Ende-zu-Ende-Verbindung. Zusammengefügt werden die Pakete dann erst beim Empfänger. Die Paketvermittlung funktioniert als deutlich anders als die Leitungsvermittlung, wie man sie vom Telefonnetz kennt.

Der Vorteil des Packet-Switching ist, dass das Netz sehr viel effizienter ausgelastet wird. Mehrere Teilnehmer teilen sich Leitungen und schicken ihre Pakete über diese Wege – und zwar vollkommen gleichberechtigt. Das Arpanet hat demnach auch den Grundstein dafür gelegt, was unsere Gesellschaft heute wieder unter dem Stichwort Netzneutralität diskutiert. Zudem wird durch mehrere mögliche Routen ein Ausfall des kompletten Netzes erschwert.

Interface-Message-Processor (IMP)

Damit die unterschiedlichen Computer (die wiederum auf unterschiedlichen Systemen basierten) miteinander kommunizieren konnten, mussten Schnittstellen geschaffen werden, die die Kommunikation der Teilnehmer regeln sollten. Man suchte zu diesem Zweck zunächst nach einer Software-Lösung, entschied sich aber schließlich dafür, Minirechner zwischen den Computern und dem Netz zwischenzuschalten. Diese Interface-Message-Processors (IMP) waren kleinere (in Relation zu den Computern, die einen ganzen Raum einnahmen) Maschinen, die für Interoperabilität im Netz sorgten.

Gebaut von BBN Technologies, basierte die Grundlage der IMPs auf Minicomputern von Honeywell. Ihre Funktion würde man heutzutage mit der eines Routers vergleichen: Datenpakete werden über sie an die richtigen Empfänger versendet. Der Empfänger-IMP sendet daraufhin eine Bestätigung – allerdings auch nur dann, wenn das Paket ohne Fehler angekommen ist, ansonsten wird der Sender automatisch erneut aktiv und startet die Übertragung noch einmal. Die hatte zu Beginn des Arpanets übrigens eine Geschwindigkeit von 50 kbit pro Sekunde und wurde über Telefonleitungen realisiert.

1822-Protocol

Damit die IMPs miteinander kommunizieren konnten, führte BBN Technologies einen neuen Standard ein: das 1822-Protocol, benannt nach dem BBN Report 1822, in dem das Unternehmen dies Protokoll beschrieb. In diesem Protokoll hatte man festgelegt, welchen Formalien die Kommunikation im Arpanet genügen muss. Da sich nur die zwischengeschalteten Minicomputer an diese Regularien halten mussten (die Verbindung von Host zu IMP musste jeder Standort selbst bewerkstelligen), ist durch das Protokoll eine Interoperabilität gewährleistet.

Das Protokoll verlangte, dass die Pakete zwei Bereiche beinhalteten: Zum einen die Informationen (beziehungsweise einen Teil der Informationen), die man übermitteln möchte, und zum anderen einen Header. In diesem Kopfbereich ist auch eine numerische Empfängeradresse hinterlegt (vergleichbar mit der IP-Adresse), mit der der Sender-IMP den Empfänger-IMP ermitteln kann, wodurch die Pakete auch am richtigen Ort ankommen. Pakete hatten eine maximale Größe von 8159 Bits, wobei 96 davon für den Kopf reserviert waren.

Network-Control-Program (NCP)

Das Network-Control-Program (NCP) ist ebenfalls ein Protokoll, das allerdings in der mittleren Ebene (Transport-Layer) der Kommunikation eingesetzt wird. Damit liegt es höher als das 1822-Protocol, das sich auf den drei untersten Ebenen der Netzwerkarchitektur ansiedeln lässt: Physical Layer, Data-Link-Layer & Network-Layer. Die Hauptaufgaben des NCP liegen darin, Verbindungen zwischen zwei Hosts aufzubauen, diese zu beenden oder sie umzuleiten. Um jederzeit eine Verbindung aufbauen zu können, war ein sogenannter Logger in das Protokoll integriert. Dieser Dienst war damit beschäftigt, nach Login-Versuchen von anderen Host-Rechnern zu suchen.

Fakt

Das heutzutage verwendete OSI-Modell für die Schichtenarchitektur von Netzwerkprotokollen hat es zu Beginn des Arpanets noch nicht gegeben. Das siebenschichtige Referenzmodell wurde erst 1983 verbindlich eingesetzt. Dennoch lassen sich auch die Protokolle des Arpanets grob in dieses Modell einordnen.

Das Network-Control-Program ist am 1. Januar 1983 durch den Nachfolger TCP/IP (jener Familie von Netzwerkprotokollen, auf der auch heute noch das Internet aufbaut) abgelöst worden. Dieser als Flag Day bekannte Tag der Umschaltung war vergleichsweise aufwendig: Denn die unterschiedlichen Protokolle kann man nicht nebeneinander verwenden. Es ist nicht möglich, dass Hosts, die NCP verwenden, mit Hosts, die TCP/IP einsetzen, kommunizieren. Daher war es notwendig, das komplette Netz zum Stichtag zustarten.

Unix

Zwar steht das Betriebssystem Unix nicht in direkter Verbindung zum Arpanet, doch verlief die Entwicklung beider Technologien parallel. Sowohl Unix als auch die Programmiersprache C, auf der das Betriebssystem basiert, beeinflussten daher die Entwicklung des Arpanets. Die Software konnte man schon damals auf vielen verschiedenen Plattformen einsetzen. Somit wurde Unix quasi zum Standard im neugeschaffenen Netzwerk. Die dadurch entstandene Einheitlichkeit vereinfachte die Einführung von verbindlichen Anwendungen und Protokollen.

Fakt

Unix gehört zu den ersten Betriebssystemen der Computergeschichte. Noch heute sind das Betriebssystem und seine Weiterentwicklungen besonders auf Servern im Internet sehr beliebt. Mehr zu Unix und dessen Geschichte erfahren Sie in unserem ausführlichen Artikel zu Unix.

Der Nutzen von Arpanet

Rückblickend sehen viele den Hauptnutzen von Arpanet darin, dass es den Weg für das Internet geebnet hat. Doch bereits in den ersten Jahrzehnten nach seiner Entwicklung brachte das Arpanet den angeschlossenen Universitäten einen enormen Nutzen: Dank ihm war es möglich, Programme auf weit entfernten Computern auszuführen. Der entsprechende Dienst war und ist bekannt als „Remote job entry“, beziehungsweise NETRJS. Um die Bedeutung dessen zur Gänze zu verstehen, muss man sich bewusst machen, dass die Rechenleistung der meisten damaligen Rechner bei weitem nicht an das heranreichte, was man heute gewohnt ist. Dass Wissenschaftler nun die Ressourcen verbundener Rechner nutzen konnten, ermöglichte ein sehr viel effizienteres Arbeiten.

Auch zwei Anwendungen, die bis heute das globale Netzwerk prägen, wurden schon in den Anfangstagen des Arpanets eingeführt: FTP-Verbindungen und E-Mails. Beide Dienste hat man 1972 implementiert. Das File-Transfer-Protocol machte es möglich, Dateien zwischen zwei Hosts auszutauschen. Die E-Mail hingegen ist jedem Internetnutzer ein Begriff. Damals hatte man die beiden Programme READMAIL (read mail) und SNDMG (send message) entwickelt, die den Nutzern im Arpanet ermöglichten, elektronisch Textnachrichten zu senden und zu empfangen. Programmiert wurden beide von Ray Tomlinson, der damals bei BBN Technologies arbeitete. Ihm verdanken wir auch die Verwendung des @-Zeichens, um den Namen des Nutzers von dem Namen des Servers zu abzugrenzen.

Ein weiterer Dienst, der auch noch Teil des Internets ist, aber inzwischen stark an Bedeutung verloren hat, ist Telnet. Das Client-Server-Protokoll macht es möglich, über eine Remote-Verbindung auf einen anderen Computer zuzugreifen. Über die Eingabekonsole können Nutzer dann Befehle auf anderen Rechnern ausführen, um dort zum Beispiel Datenbanken zu durchsuchen oder Programme zu starten. Heutzutage nutzt man diesen Dienst allerdings kaum noch. Zwar bietet Telnet einige Vorteile (zum Beispiel ist das Protokoll plattformübergreifend), aber im Gegenzug auch einen ganz eklatanten Nachteil: Da der Datenaustausch vollständig unverschlüsselt stattfindet, sind die Zugänge Einfallstore für Cyberkriminelle. Statt Telnet nutzt man heutzutage in der Regel das verschlüsselte SSH.

Tipp

Weiterführende Informationen zu Telnet und darüber, wie Sie den Dienst auf Ihrem Computer verwenden können, bietet Ihnen unser Artikel „Telnet – das systemübergreifende Remote-Protokoll“.

Welche Bedeutung hat Arpanet für das Internet?

Kaum jemand wird bestreiten, dass das Internet, wie wir es heute kennen, entscheidend durch das Arpanet geprägt wurde. Aber was genau heißt das? Schließlich war Arpanet nicht einfach das Internet nur mit einem anderen Namen. Einige der damaligen Innovationen, die ARPA und BBN Technologies in den 1960er- und 1970er-Jahren entwickelten, werden noch heute verwendet – wie beispielsweise E-Mails und das File-Transfer-Protocol. Grundsätzlich war es allerdings wohl das Konzept eines dezentralen, standortunabhängigen Netzes, das schließlich auch zum Internet geführt hat.

Fakt

Auch das Domain-Name-System hat seinen Ursprung im Arpanet, allerdings wurden die Computer in diesem Netzwerk noch mit Nummern organisiert – und zwar per Hand: Zur Verwaltung gab es eine Datei (die hosts.txt), in der man alle Netzteilnehmer eintrug. Um in die Liste aufgenommen zu werden, musste man beim Network-Information-Center (NIC) anrufen.

Andere Errungenschaften wurden so stark verändert, dass man die Ursprünge heute nur noch schwer erkennt. Dass das, was inzwischen kleine Router leisten, früher einmal kühlschrankgroße IMPs übernommen haben, ist für viele sicherlich kaum vorstellbar. Ganz entscheidend war auch die Entwicklung von TCP/IP – eine Technik, die ebenfalls durch die Computerwissenschaftler bei ARPA angeregt wurde. Auch Ethernet, eine Netzwerktechnik, ist im Umfeld von Arpanet entstanden und ist noch heute ein Standard bei der Vernetzung von Computern.

Was es damals aber noch nicht gegeben hat – wahrscheinlich einer der wichtigsten Unterschiede zwischen Arpanet und dem Internet ­–, ist das World Wide Web. Das System aus Hypertexten hat Tim Berners-Lee erst 1989 entwickelt, also kurz bevor man das Projekt Arpanet einstellte. Informationen waren zuvor nämlich nicht in einem jederzeit verfügbaren Netz von Servern erreichbar, sondern man musste sie einzeln bei Hosts anfragen – und auch die ersten Webbrowser lagen 1969 noch in weiter Ferne.