Storytelling: Geschichten als Onlinemarketing-Maßnahme

Seit Jahrtausenden erzählen sich Menschen Geschichten: Alltägliches, Phantastisches, Lehrreiches oder Romantisches – für so ziemlich alles hat die Menschheit narrative Formen gefunden. Geschichten regen unsere Phantasie an, entführen uns aus dem Alltag und stiften Gemeinschaften. Mehr noch: Sie tradieren die Werte und Normen einer Gesellschaft und bilden das Fundament ihres kulturellen Gedächtnisses. Sie können Botschaften, Ideen und Wissen vermitteln. Damit wird das Storytelling – so der englischsprachige Fachbegriff für das Erzählen von Geschichten als Kommunikationsform – auch zu einer effektiven Marketing-Maßnahme. Welche Bedeutung Storytelling im Marketing, für Unternehmen und in Social Media haben kann, lesen Sie in unserem Ratgeber "Virales Marketing: Die digitale Mundpropaganda".

Was ist Storytelling?

„Die Feder ist mächtiger als das Schwert“, besagt ein altes Sprichwort. Sprache ist lebendig und in der Lage Menschen mitzureißen, zu unterhalten und zu bilden. Das gilt insbesondere für Geschichten: Die Kommunikationsform „Storytelling“ funktioniert, indem sie einem Produkt, einem Unternehmen oder einer Idee eine spannende, interessante und sinnstiftende Form verleiht. Dementsprechend wurde Storytelling schon von vielen PR-, Marketing- und Kommunikationsabteilungen in Unternehmen entdeckt. Mit Geschichten können Produkte, Ideen oder Unternehmenstraditionen emotionaler und leichter verständlich vermittelt werden als beispielsweise über ein trockenes Aufzählen von Fakten – vom Gründungsdatum bis zu Produktspezifikationen auf Datenblättern. Interesse und Neugier werden mit spannenden Storys viel eher geweckt. Die Adressaten sollen ihr folgen und sich letztlich mit dem vermittelten Produkt oder Unternehmen identifizieren. Storytelling kann die Brand stärken, denn eine gute Story bleibt den Rezipienten lange im Gedächtnis. Sie werden mit der positiven Botschaft langfristig das vermittelnde Unternehmen verbinden und umgekehrt. Klassische Werbung hingegen stößt bei Lesern, Zuschauern und Zuhörern zunehmend an Grenzen. Im Onlinemarketing spricht man beispielsweise von der sogenannten Banner Blindness – der Blindheit der Rezipienten gegenüber klassischen Werbebannern. Im Zuge des zunehmenden Überangebots in den Medien haben sich die Rezipienten an einfache Werbebanner und -spots gewöhnt – nicht nur online, sondern medienübergreifend. Daher sind gute Inhalte und mitreißende Storys immer gefragter. Hier gehen Content-Marketing und Storytelling Hand in Hand.
Fakt
Storytelling ist eine Kommunikationstechnik, die im Marketing, der PR-Arbeit aber auch im Journalismus, in der Bildung, im Wissensmanagement oder in der Psychotherapie eingesetzt wird. Ziel ist es, das Interesse der Rezipienten mit interessanten Geschichten zu wecken und Informationen leicht verständlich zu kommunizieren.

Darum funktioniert Storytelling

Darüber hinaus wird Storytelling in Unternehmen auch zur internen Kommunikation mit den eigenen Mitarbeitern eingesetzt: Inhalte von Schulungen oder Einführungen sowie Werte, Wissen und die Unternehmenskultur lassen sich über positive Erfolgsgeschichten besser und verständlicher kommunizieren. Die gleiche Funktionsweise wird auch im Journalismus und im Bildungssektor verwendet, um komplexe Zusammenhänge, wichtige Informationen und Problemstellungen in leicht verständlicher Form zu vermitteln. Warum ist diese Erzähltechnik so effektiv und kommt branchen- und fachübergreifend zum Einsatz?
Antworten auf die Frage liefert einerseits die Hirnforschung, andererseits die Literatur- und Sprachwissenschaft. Das entscheidende Stichwort ist die „leicht verständliche Form“, die Storytelling komplexen Zusammenhängen verleiht. Denn unser Gehirn wird immer versuchen, schwierige Zusammenhänge mit dem geringstmöglichen Aufwand in bekannten Mustern zu erfassen. Geschichten sind – wie eingangs geschildert – ein seit Jahrtausenden etabliertes und erprobtes Mittel, um Wissen weiterzugeben. Bereits die Dichter antiker Hochkulturen haben um diese Funktion gewusst und in ihren Erzählungen eine „Moral von der Geschichte“ mitkommuniziert – so etwa die Fabeln des griechischen Dichters Äsop. Diese Tradition setzt sich bis heute fort: Schon in frühester Kindheit werden uns lehrreiche Geschichten von den Eltern vorgelesen – wir wachsen mit diesem Muster auf und geben es selbst an die nachfolgende Generation weiter.
Dementsprechend können Menschen von Kindheit an Informationen noch immer am leichtesten über Geschichten aufnehmen und verarbeiten. Die rechte Gehirnhälfte wird besonders von leicht verständlichen Storys angesprochen, was bei uns eine Fülle an Emotionen auslöst: Gute Storyteller sprechen mit ihren Geschichten Urerlebnisse oder instinktiv eingeprägte Archetypen an. An diese können Rezipienten mit eigenen Erfahrungen aus individuellen Lebensläufen anknüpfen. Solche Geschichten aufzuspüren und sinnvolle Verbindungen zwischen der beabsichtigten Botschaft und dem Inhalt der Story zu finden, ist die große Kunst des Storytellings.

Wie entwickelt man eine gute Story?

Es gibt viele Wege, um gute Geschichten zu erzählen: Je nach Unternehmen und die für die jeweilige Zielgruppe beste Kommunikations- oder Contentform sind von Videospots bis zu ausformulierten Storys in Textform nahezu alle (multi-)medialen Ansätze denkbar. Dementsprechend steht an erster Stelle die Frage nach der Zielgruppe: Wen soll die Story ansprechen? Wie setzt sich diese Gruppe zusammen – was sind ihre Wünsche, Hoffnungen oder Interessen? Welches Medium wird von der Zielgruppe bevorzugt? Solche und ähnliche Fragen müssen Sie zunächst durch Markt- und Zielgruppenanalysen beantworten.
Soll die Geschichte ausformuliert oder in Form eines (Kurz-)Films kommuniziert werden? Dann können Sie sich beim Storytelling an der klassischen Dramen- und Erzähltheorie orientieren: Es geht darum, fortlaufend einen Spannungsbogen aufzubauen, Leser, Zuhörer oder Zuschauer zu mitzunehmen und am Ende mit einer Moral oder Botschaft zu schließen. Am Anfang steht eine Ausgangssituation, mit der sich die Zielgruppe identifizieren kann. Die Geschichte sollte über eine oder mehrere Hauptfiguren verfügen, in denen sich der Rezipient wiederfinden oder mit denen er mitfühlen kann. Er begleitet diese Figuren, während sie ein Problem lösen, Hindernisse überwinden oder eine Entwicklung vollziehen. Die Geschichte schließt mit einem Happy End: Das Problem oder Rätsel ist gelöst, die Hindernisse sind überwunden, die Hauptfigur(en) sind mit ihrem Vorhaben erfolgreich gewesen.
Komplexe Verschachtelungen mehrerer Erzählstränge sowie viele Zeit- und Ortswechsel gilt es zu vermeiden. Die Geschichte kann zwar eine komplexere Botschaft vermitteln, sollte selbst aber möglichst leicht verständlich sein, um den Rezipienten nicht abzuschrecken und gleichzeitig dazu zu ermutigen, sich selbst mit dem Thema auseinanderzusetzen. Besonders bei Onlinetexten ist zu beachten, dass Nutzer sprunghafter lesen und die Aufmerksamkeitsspanne kürzer ist. So muss der Leser – in diesem Fall mehr denn je – direkt zu Beginn der Geschichte gefesselt werden. In dieser Hinsicht kann man sich grob an den drei aristotelischen Einheiten orientieren: Einheit des Ortes, der Zeit und der Handlung. Wie sich das Leseverhalten im Netz von dem in Printmedien unterscheidet, erläutern wir in unserem Artikel: "Leseverhalten im Netz: Online-Content richtig gestalten".
Im schnelllebigen World Wide Web kann schon der erste Satz entscheidend sein. Inspiration und Beispiele guter erster Sätze gibt es in der Literaturgeschichte en masse – um nur zwei zu nennen: „Er stand vor dem Tor des Tegeler Gefängnisses und war frei.“ (Alfred Döblin: Berlin Alexanderplatz). Sofort ist der Leser bereit weiterzulesen: Wer ist „er“? Warum war er im Gefängnis und was wird er jetzt tun? Ein zweites Beispiel: „Wie froh bin ich, dass ich weg bin.“ (Johann Wolfgang von Goethe: Die Leiden des jungen Werthers). Auch hier wird die Phantasie des Lesers sofort angeregt: Warum ist das Erzähler-Ich froh? Wo kommt es her und wo will es hin?
Soll die Geschichte als Spot in bewegten Bildern erzählt werden, muss der Einstieg in Videoform übertragen werden. Selbstverständlich ist auch hier der Anfang – das heißt die ersten Sekunden – von entscheidender Bedeutung: Da Videoclips neben dem hauseigenen Unternehmensblog vorwiegend über soziale Medien wie YouTube oder Facebook kommuniziert werden, sind ablenkende Videos dritter Anbieter und weiterführende Links immer nur einen Klick entfernt.
Die Beispiele veranschaulichen, dass der Anfang beim Storytelling noch nicht den maximalen Informationsgehalt bieten muss – ganz im Gegenteil: Idealerweise steht zu Beginn ein Teaser, der Leerstellen lässt. Erst im Laufe der Geschichte werden Antworten gegeben. Das weckt das Interesse des Rezipienten und bindet ihn über den gesamten Spannungsbogen bis zum Happy End.

Wie lässt sich Storytelling im Online- und Content-Marketing anwenden?

Storytelling in Social-Media-, Online- und Content-Marketing funktioniert nach den Grundprinzipien guten Contents und kann von jedem Unternehmen betrieben werden. An erster Stelle sollte nicht die Ausarbeitung einer x-beliebigem Geschichte stehen, die nur um des Erzählens willen geteilt wird. Wichtiger ist es, dass Sie sich die Botschaft der Story vorab überlegen: Was wollen Sie mit der Geschichte überhaupt aussagen und wie soll diese Ihre Rezipienten erreichen? Wollen Sie die Gründungsgeschichte Ihres Unternehmens erzählen? Wollen Sie Innovationen oder den Nutzen eines Produkts in Form einer Erfolgsstory erzählen? Was soll der Rezipient schließlich aus der Story mitnehmen? An nächster Stelle steht die Frage nach dem idealen Medium: Fragen Sie sich, wie Sie mit Ihrer Story die Adressaten am besten erreichen und mit welchem Medium Sie die Story am besten erzählen können. Die Geschichte eines zufriedenen Kunden beispielsweise ließe sich sowohl in Textform als auch als Videospot kommunizieren – aber mit welchem Medium erzielt man den gewünschten emotionalen Effekt am ehesten? Welches Medium stützt die Botschaft am besten? Die Entscheidung zugunsten dieser oder jener medialen Präsentation ist zugleich eine pragmatische: Sollen beispielsweise regelmäßig und fortlaufend neue Storys präsentiert werden, sind Texte leichter und kostengünstiger zu erstellen. Ein Blog mit aktuellen Storys wäre die logische Konsequenz. Spannende Filme und aufwendige Spots hingegen haben angesichts des multimedialen Überangebots im Web eher das Potenzial, schnell Aufmerksamkeit zu erzeugen. Damit ist direkt der nächste Punkt angesprochen: Aufmerksamkeit und das virale Teilen der Geschichten muss das Ziel jeder Storytelling-Marketing-Kampagne sein. Es geht darum, eine Geschichte zu erzählen, die ihre Adressaten so bewegt, dass diese sie gerne mit Freunden und Verwandten teilen und so eigenständig weiterverbreiten. In unserem Ratgeber erklärt Onlinemarketing-Experte Felix Beilharz, welche Zutaten in vielen Fällen sehr gut für ein virales Teilen funktioniert haben, z. B. starke Emotionen wie Trauer, Angst, Freude oder Liebe. Hier schließt sich der Kreis: Diese Gefühle können Geschichten bekanntlich weit besser wecken als trockene Fakten und Datenblätter. Indem man sich an sogenannte Influencer wendet, kann die virale Verbreitung der Story zusätzlich beschleunigt werden – vorausgesetzt natürlich, die Inhalte sind so hochwertig, dass sie Blogger und andere tatsächlich überzeugen. Hierbei gilt es zunächst, die richtigen Plattformen abseits der firmeneigenen Kanäle zu finden, auf denen der Content die meisten Nutzer erreicht. Das können beispielsweise Blogs oder Fachportale zu Spezialthemen sein, die eine große thematische Überschneidung zu dem Unternehmen, den Produkten oder der Story haben.

Storytelling: Best-Practice-Beispiele

Wie aber sieht eine gute Story aus, wenn Sie fertig ist? Zwar gibt es kein Patentrezept, nach dem Storytelling in Unternehmen und deren Praxis funktioniert, sehr wohl aber einige überaus erfolgreiche Best-Practice-Beispiele. Diese können Inspiration für eigene Vorhaben liefern und zeigen, worauf es ankommt. Besonders gut lässt sich der Erfolg einer Storytelling-Methode an YouTube-Videos und den dazugehörigen Views ableiten – vier Beispiele aus unterschiedlichen Branchen mit unterschiedlichen Zielgruppen:

Always: #likeagirl

Das erste Beispiel für erfolgreiches Storytelling im Marketing ist ebenso unkonventionell wie genial: Im Zentrum der Kampagne steht weder das Produkt noch das Unternehmen Always. Vielmehr geht es um eine Idee, ein Statement und eine Erfahrung, mit der sich ein Großteil des Publikums identifizieren kann – wie sich an diesem und den folgenden Beispielen zeigen wird, eine essenzielle Strategie des erfolgreichen Storytellings.
Das Video beginnt mit der Frage: „Was bedeutet es, ein Mädchen zu sein?“ Sogleich sollen die befragten Menschen – vorwiegend Erwachsene beider Geschlechter und Jungen – rennen, werfen und kämpfen wie ein Mädchen („like a girl“). Alle stellen sich unbeholfen an. Anschließend werden jungen Mädchen die gleichen Aufgaben gestellt: Sie alle geben ihr Bestes, sind erfolgreich, vollführen perfekte Wurf-Gesten und laufen motiviert. Auf die Frage: „Was bedeutet es für dich, zu laufen wie ein Mädchen?“ erwidert ein Mädchen: „Laufen, so schnell du kannst“.
Die anschließende als Zwischentitel eingeblendete Frage: „Wann ist, etwas wie ein Mädchen zu tun, eine Beleidigung geworden?“ markiert den Wendepunkt und ruft nicht nur die Befragten im Video, sondern auch die Zuschauer zum Hinterfragen eigener Vorurteile auf. Die Botschaft der Story wird im Folgenden deutlich. Zwei weitere Zwischentitel erklären: „Das Selbstvertrauen eines Mädchens stürzt während der Pubertät ab“ und: „Always will das ändern“. Erst hier wird die Brand genannt. Nicht in erster Linie, um für ein bestimmtes Produkt oder die Marke selbst zu werben, sondern für die Idee, für den Wandel und ein fortschrittlicheres Frauen- bzw. Mädchenbild in der Gesellschaft.
Dieser Einsatz des Unternehmens für ein starkes Mädchen- und Frauenbild sowie für Aufklärung in der Pubertät wirkt sich als indirekte Werbebotschaft natürlich umso deutlicher aus: Schon jetzt wurde das Video über 63 Millionen Mal angesehen und über 240.000 Mal geliked. Ein kurzer Rückbezug zu den eingangs geschilderten Faktoren für gutes Storytelling zeigt, wieso das in diesem Fall möglich ist: Eine starke Botschaft steht im Zentrum der Story. Die Figuren vollziehen eine Entwicklung, reflektieren ihre Einstellung, und die Zuschauer werden emotional eingebunden. Die Kommentare belegen, dass die Botschaft angekommen ist und die Story ein hohes Maß an Identifikationsmöglichkeiten bietet. Damit sind die Weichen für eine virale Verbreitung des Contents gestellt.

Der Hornbach-Hammer

Ein weiteres Beispiel für gutes Storytelling ist die Hammer-Kampagne der Baumarktkette Hornbach. Hier geht es zwar um ein konkretes Produkt, allerdings gerät dieses zugunsten seines symbolischen Gehalts in den Hintergrund.
Der Film zeigt die Entstehungsgeschichte eines Hammers – so weit, so unspektakulär. Der Clou ist, dass dafür ausgerechnet ein Panzer zerlegt und eingeschmolzen wird. Aus einer Produktwerbung wird somit plötzlich eine Antikriegsbotschaft: Panzer einschmelzen und daraus Hämmer herstellen. Die Funktion des Stahls wird also umgekehrt: Mit dem Hammer kann man einen Schuppen, ein Baumhaus für die Kinder oder ein Eigenheim zimmern – und tut damit das genaue Gegenteil von dem, was der Panzer anrichtet.
Der beworbene Hammer war nur limitiert verfügbar, dementsprechend kann nicht jeder Hammer bei Hornbach aus diesem Stahl bestehen – das weiß das Publikum und das wissen die Macher. Es geht aber gar nicht darum, ihn in Massenfertigung in die Baumärkte zu bringen. Sein unverwüstlicher Charakter aus Panzerstahl, sozusagen der Unique Selling Point, wird in Anbetracht der symbolisch kommunizierten Botschaft der Geschichte sekundär. Trotzdem spielt er eine langfristig Rolle: Er wird über Jahre und Jahrzehnte an seine Entstehungsgeschichte erinnern, vielleicht sogar vererbt werden und trotzdem noch seine Zwecke erfüllen. Das bindet die Besitzer langfristig an die Brand.

Patek Philippe: „Generationen“

Genau dieses Ziel hat sich der Schweizer Luxusuhrenhersteller Patek Philippe mit der Storytelling-Kampagne „Generationen“ gesetzt. Die Uhren der Firma sind so exklusiv, dass es schwierig ist, mit Produktwerbung ein größeres Publikum zu erreichen: Die Marke ist nur einem kleinen Kreis von Interessenten bekannt, noch weniger können sich eine solche Uhr überhaupt leisten. Stattdessen versucht das Unternehmen, diese exklusive Zielgruppe emotional zu erreichen. Die Lösung: Die Story wirbt überhaupt nicht mit den augenscheinlichen Features einer solchen Uhr, die der Zielgruppe ohnehin bekannt sind.
Stattdessen rückt der Film Werte wie Familie, Tradition und Kosmopolitismus in den Vordergrund, aktiviert damit die Ideale der Zielgruppe und unterstreicht den Unternehmens-Claim: „You never actually own a Patek Philippe. You merely look after it for the next generation („Eigentlich besitzt du eine Patek Philippe niemals. Du bewahrst sie nur für die nächste Generation auf“). Der Claim an sich erzählt bereits eine Story, an die die Rezipienten beliebig anknüpfen können. Im Film werden Eltern mit ihren Kindern rund um den Globus in privaten und beruflichen Umfeldern gezeigt – immer mit harmonischen Gesten: Wenn ein Vater mit seinem Sohn an einem See in die Ferne blickt, schauen sie einer Zukunft entgegen, in der der Sohn den Platz des Vaters einnehmen wird.
In der Story geht es daher nicht um Uhren, sondern um Visionen, Traditionen und um das Erbe einer Generation. Das Produkt Armbanduhr wird in Anbetracht dieser Szenen zu einem mythischen Symbol für Zeitlosigkeit: Die Werte der vorigen Generation leben mit der folgenden weiter. Die Uhr tickt sinnbildlich weiter. Das weckt starke Emotionen und bezieht das Publikum ein: Das Video schließt mit dem Appell: „Start your own Tradition“ („Beginne deine eigenen Tradition“).
So kann dieser Spot auch bewusst von den anderen Storytelling-Beispielen abweichen und mehrere Storys aneinanderreihen. Da jede für sich genommen abgeschlossen ist und die vorigen Teilgeschichten in ihrer Botschaft bestätigt, funktioniert der Film in der Kürze der Zeit trotzdem. Mehr noch: Der Message wird eine weltweite Gültigkeit zugesprochen. Der Zuschauer bekommt das positive Gefühl, dass Traditionen überall und von jedem begonnen werden können. Das macht die Identifikation mit dem Spot und seiner Botschaft leichter – und das trotz der Exklusivität der Zielgruppe.

Red Bull: „Red Bull Stratos“

Es gibt nur wenige Geschichten, die stärker motivieren als Rekorde und sportliche Bestleistungen. Weltweit fiebern Menschen mit ihren Lieblingsathleten mit, begleiten sie durch Höhen und Tiefen. Eine starke emotionale Anteilnahme ist damit gegeben – ein Umstand, den sich der österreichische Getränkehersteller Red Bull in besonderem Maß für sein Storytelling zunutze macht. Mit dem Projekt „Red Bull Stratos“ werden die Grenzen des Storytellings sogar erweitert: Das Publikum wird Zeuge eines authentischen Weltrekords und einer bis dato einmaligen Leistung – einem Stratosphärensprung mit dem Fallschirm aus einer Höhe von über 38.000 Metern.
Der Weltrekord-Sprung von Felix Baumgartner im Herbst 2012 zog ein weltweites Publikum sofort in den Bann. Berichte gingen rund um den Globus durch die Medien und erzeugten eine enorme Aufmerksamkeit. Auch bei dieser Story steht weder die Brand noch das Unternehmen im Fokus – und doch ist der Rekordsprung unwiderruflich mit dem Namen Red Bull verbunden. Denn das Engagement des Unternehmens bleibt positiv und hochemotional in Erinnerung: Zum derzeitigen Zeitpunkt sahen allein das Highlights-Video auf YouTube mehr als 41 Millionen Menschen.
Das Projekt „Red Bull Stratos“ ist darüber hinaus in vielerlei Hinsicht ein Storytelling-Geniestreich: Für den erzählerischen Spannungsbogen musste noch nicht einmal eine Story geschrieben werden. Die Idee für den Sprung aus der Stratosphäre reichte aus: Wind und Wetter sowie das waghalsige Vorhaben von Base-Jumper Felix Baumgartner an sich schrieben die Geschichte von selbst. Die Idee verbreitete sich viral wie ein Lauffeuer: Weltweit schrieben Medienberichte und Posts in sozialen Netzwerken die Geschichte weiter und sorgten schon im Vorfeld für ein Maximum an Spannung.
Der Erfolg des Extremsportlers rundet die Story mit einem beeindruckenden Happy End ab – das alles ohne Drehbuch. Stattdessen nimmt die Geschichte dokumentarische Züge an und ist so an Authentizität kaum zu übertreffen. Zudem muss kaum erwähnt werden, dass der assoziative Weg vom Stratosphärensprung zum Red-Bull-Claim denkbar kurz ist: „Red Bull verleiht Flügel“.
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