In der Praxis kann das Reverse-Charge-Verfahren das Abführen der Umsatzsteuer – zumindest für den Lieferanten – vereinfachen und seinen bürokratischen Aufwand verringern. Vor allem soll die Regelung aber gegen Missbrauch und Steuerbetrug wirken. So hilft Reverse Charge beispielsweise, sogenannten Karussellbetrug zu bekämpfen. Hierbei werden grenzüberschreitende Lieferungen, die für den Leistenden steuerfrei sind, zum Hinterziehen der Umsatzsteuer ausgenutzt. Groben Schätzungen zufolge gehen dem deutschen Fiskus auf diese Weise mehrere Milliarden Euro pro Jahr verloren.
Beispiel: Unternehmer A aus Frankreich liefert eine Ware an Unternehmer B in Deutschland. Unternehmer A schreibt eine Rechnung ohne Umsatzsteuer. Unternehmer B verkauft die Ware an Unternehmer C in Deutschland und schreibt eine Rechnung mit Umsatzsteuer. C lässt sich die Umsatzsteuer vom Finanzamt als Vorsteuer erstatten. B müsste die Umsatzsteuer an das Finanzamt abführen, aber er verschwindet vom Markt, ehe die Steuer fällig wird. Man bezeichnet ihn als „Missing Trader“. Unternehmer C verkauft die Ware wieder an A in Frankreich. Das Karussell dreht sich weiter.
Beim Karussellbetrug führt der Leistende die Umsatzsteuer also nicht ab; trotzdem wird sie vom Leistungsempfänger als Vorsteuer geltend gemacht. Reverse Charge verhindert das: Umsatz- und Vorsteuer liegen in einer Hand. Will der Empfänger die Vorsteuer vom Finanzamt zurückerstattet bekommen, muss er gleichzeitig die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer angeben. Das Steuersystem ist weniger betrugsanfällig, daher ist es inzwischen für viele Branchen auch ein Muss. Besonders beim Handel mit Tablets und Handys oder in der Baubranche kam es in der Vergangenheit oft zu solchen Karussellgeschäften.