Aktuelles BAG-Urteil: Ist die Dienstreise Arbeitszeit?

Wer vom Arbeitgeber ins Ausland geschickt wird, kann sich freuen, der Jubel manch eines Unternehmers mag sich dagegen eher in Grenzen halten. Im Oktober 2018 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einem Urteil entschieden, dass bei Geschäftsreisen ins Ausland grundsätzlich auch die Zeiten für An- und Abreise wie Arbeit bezahlt werden müssen (Aktenzeichen: 5 AZR 553/17). Für Mitarbeiter, die öfter im Ausland eingesetzt werden, macht sich das u. U. positiv auf ihrem Gehaltszettel bemerkbar. Für Unternehmen, die im Ausland aktiv und auf Außendienstmitarbeiter angewiesen sind, kann es eine merkliche finanzielle Belastung bedeuten, wenn die Reisezeit als Arbeitszeit gilt und dementsprechend zu vergüten ist.

Die bisherige Regelung der Arbeitszeit bei Dienstreisen

In der Vergangenheit wurde die Vergütung der Reisezeiten von Geschäftsreisen individuell geregelt. Wer einen großzügigen Arbeitgeber hatte, für den galt auch bisher schon: Die gesamte Reisezeit ist gleich Arbeitszeit. Eine solche Regelung musste jedoch gesondert ausgehandelt und im Arbeitsvertrag festgehalten werden. Daneben sind in manchen Unternehmen Regelungen dieser Art in einer Betriebsvereinbarung oder im Rahmen eines Tarifvertrags festgelegt und gelten dementsprechend für alle oder nur bestimmte Angestellte.

Für viele Fälle jedoch fehlen gesetzliche Regeln dafür, ob Reisezeiten als Arbeitszeit gelten und ob bzw. wie solche Zeiten vergütet werden sollen. In der Praxis gilt zumeist, dass bei Dienstreisen nur die jeweilige tägliche Regelarbeitszeit als tatsächliche Arbeitszeit angerechnet wird – selbst wenn die Reise länger dauert. Lediglich, wenn der Mitarbeiter während der Reise auf Anweisung des Arbeitgebers tatsächlich Arbeit verrichtet (etwa die Vorbereitung von Präsentationsfolien oder die E-Mail-Korrespondenz mit Kunden), kann auch Mehrarbeit über die vertraglich geschuldete Arbeitszeit hinaus geltend gemacht werden.

Eine Ausnahme ist nur gegeben, wenn die Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu bedeutenden Teilen aus Reisezeit besteht (also eine sogenannte Hauptpflicht ist), wie es beispielsweise bei Kraftfahrern oder Handelsvertretern der Fall ist. Diese Regelungen galten bisher auch für Dienstreisen sowohl im Inland als auch ins Ausland.

Zwei Fallbeispiele

Fall 1:

Der Fahrer eines Lieferdienstes hat eine vertraglich festgelegte Arbeitszeit von 6 bis 14:30 Uhr täglich. Um 6 Uhr morgens holt er sein Dienstfahrzeug aus der Firmengarage und fährt zum Zentrallager, wo das Fahrzeug ab 6:30 Uhr beladen wird. Nach der letzten Lieferung um 14:30 Uhr fährt er zurück zum Firmengelände, wo er sein Fahrzeug aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens erst um 16 Uhr abstellen kann. In diesem Fall gilt die gesamte Zeit von 6 bis 16 Uhr (abzüglich der Pausen) als Arbeitszeit, weil der Mitarbeiter seine Aufgabe ohne die Reisezeit überhaupt nicht ausführen könnte. Sie gilt deshalb als Hauptpflicht.

Fall 2:

Ein Versicherungsmitarbeiter wird ausnahmsweise für ein Gespräch zu einem Kunden geschickt, weil dieser aus einem wichtigen Grund nicht in die Büroräume des Versicherungsunternehmens kommen kann. Die Arbeitszeit des Mitarbeiters beträgt üblicherweise 8 bis 17 Uhr. Der Termin dauert von 16 bis 17:30 Uhr und der Mitarbeiter fährt danach direkt nach Hause.

Hier gelten nur die 30 Minuten, die das Kundengespräch über die vertraglich geschuldete Arbeitszeit hinaus andauert, als Arbeitszeit. Der Rückweg ist reine Reisezeit, die der Arbeitgeber in diesem Fall nicht anrechnet. Anders wäre es, wenn der Mitarbeiter in dieser Zeit das Gespräch nachbereitet, weil sein Chef am nächsten Morgen einen schriftlichen Bericht über den Verlauf des Termins erwartet. In solch einem Fall gilt auch die Reisezeit als Arbeitszeit, die entsprechend zu entlohnen ist.

Was sich durch das BAG-Urteil geändert hat

Rechtlich gesehen besteht eine Grauzone, was die Vergütung für die An- und Abreise während einer Geschäftsreise betrifft. Viele Faktoren können dabei eine Rolle spielen: Welches Verkehrsmittel wird verwendet? Was gilt tatsächlich als Reisezeit – auch schon die Fahrt zum Bahnhof oder Flughafen? Kann und/oder soll der Reisende während der Fahrt arbeiten? Entsprechend unterschiedlich sind die möglichen Regelungen. Viele Unternehmen haben hierzu überhaupt keine vertraglichen Vereinbarungen getroffen, und der Arbeitgeber geht von stillschweigenden Regelungen aus – etwa davon, dass Reisetage unabhängig von der tatsächlichen Reisedauer als normale Arbeitstage zu behandeln sind.

Aus diesem Grund sorgte im Oktober 2018 das Urteil des Bundesarbeitsgerichts für einiges Aufsehen. Darin legte das BAG fest, dass zumindest im Fall von Auslandsentsendungen die für An- und Abreise erforderliche Reisezeit als Arbeit zu entlohnen ist. Begründet wird dies damit, dass auch diese Zeit im Interesse des Arbeitgebers aufgewendet wird.

Daraus ergeben sich wichtige Folgen für manche Arbeitgeber. In vielen Fällen werden sie ihren Angestellten die Reisezeiten bei Auslandsreisen bereits „automatisch“ vergüten – etwa im Rahmen der normalen monatlichen Bezahlung (besonders, wenn es sich um leitende Angestellte handelt). Ansonsten müssen die Unternehmen eine Lösung für die volle Vergütung solcher Reisezeiten finden, die sich schließlich durchaus über Tage hinziehen können.

Im Übrigen macht das Bundesarbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung klar, dass kein direkter rechtlicher Zusammenhang zwischen Arbeitszeiten und zu vergütender Arbeit besteht. Arbeitgeber haben also durchaus auch die Möglichkeit, Reisezeiten von Auslandszeiten anders (d. h. geringer) zu vergüten als die eigentlichen Arbeitszeiten.

Weitere rechtliche Konsequenzen

Unter bestimmten Umständen könnten sich rechtliche Folgen aus dem Urteil für den Arbeitsschutz ergeben. Wenn nämlich die An- und Abreisezeiten einer Dienstreise vollständig als Arbeitszeit gelten, könnten dadurch arbeitsschutzrechtliche Bestimmungen zur Dauer von Arbeitszeiten und entsprechender Ruhezeiten verletzt werden. Allerdings erklärt das Bundesarbeitsgericht diese Zeiten nicht ausdrücklich zu Arbeitszeiten, sondern erklärte lediglich, dass sie als Arbeit zu entlohnen sind.

Zum Hintergrund des BAG-Urteils

Zu dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts kam es, nachdem der Mitarbeiter eines Bauunternehmens seinen Arbeitgeber verklagt hatte. Für eine Dienstreise nach China hatte seine Firma ihm auf eigenen Wunsch für den Hin- und Rückflug anstelle der vorgesehenen Flüge in der Economy-Class jeweils Flüge in der Business-Class gebucht. Durch einen Zwischenstopp in Dubai dauerten diese Flüge allerdings jeweils deutlich länger. Anschließend wurden dem Kläger jedoch für jeden Reisetag nur die im Arbeitsvertrag vereinbarten acht Stunden als Arbeitszeit bezahlt. Daraufhin klagte er auf eine Bezahlung der gesamten Reisezeit, die wesentlich länger war.

Das BAG entschied, dass die gesamte Reisezeit grundsätzlich als Arbeit zu vergüten ist. Allerdings müsse ein Arbeitgeber generell nur die Dauer des schnelleren (und zudem noch günstigeren) Economy-Flugs ansetzen. In diesem Fall habe der Kläger selbst eine längere Reisedauer gewählt, die nicht mehr im reinen Interesse des Arbeitgebers gelegen habe. Zur Klärung der Einzelheiten hierzu verwies das Gericht den Fall an die Vorinstanz zurück.

Auf einen Blick: Wann ist Reisezeit Arbeitszeit bzw. als solche zu bezahlen?

Um die aktuelle Rechtslage noch einmal zu verdeutlichen, hier ein Überblick darüber, in welchen Fällen die Reisezeit einer Dienst- oder Geschäftsreise als Arbeitszeit gilt oder so bezahlt werden muss:

  • Die Reise liegt ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers.
     
  • Die Reisezeit ist zur Ausübung der Arbeitsaufgaben zwingend notwendig, ist also eine der Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses.
     
  • Der Arbeitnehmer nutzt die Reisedauer für Arbeitsaufgaben, die er auch außerhalb des Unternehmens erledigen kann (E-Mail-Korrespondenz, Besprechungen mit Kollegen, Schreibarbeiten etc.).
     
  • Es handelt sich um eine Auslandsreise.

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