Minimum Viable Product: Unter Risikominimierung Potenziale nutzen

Viele Start-ups feilen jahrelang an einer Produktidee, arbeiten ein Marketing-Konzept aus und stecken viel Geld in die Produktion: Dann präsentieren sie das fertige Endprodukt den potenziellen Kunden. Reagiert die Zielgruppe jedoch mit Desinteresse, verschwindet das junge Unternehmen schnell in der Versenkung. Denn ohne Umsatz lässt sich das investierte Geld nicht zurückgewinnen. Wer sein gesamtes Vermögen investiert hat, steht dann vor dem Ruin. Kluge Gründer gehen daher einen anderen Weg: Sie starten mit einem minimal funktionsfähigen Produkt, dem sogenannten Minimum Viable Product (MVP).

Was bedeutet MVP? Dabei handelt es sich um ein Produkt, das funktionsfähig ist – nicht mehr und auch nicht weniger. Das klingt zunächst simpel, doch steckt ein klares Konzept dahinter. Frank Robinson, CEO der SyncDev Incorporated, definierte den Begriff „Minimum Viable Product“ erstmals Anfang der Zweitausender. Innerhalb der Gründerszene verbreitete sich das Konzept durch Bücher wie „The Lean Startup“ von Eric Ries. Das Minimum Viable Product ist eine zentrale Methode der Lean-Start-up-Philosophie. Wir erklären, wie Sie mit dem MVP bei minimalem Risiko den größten Nutzen aus Ihrer Produktidee ziehen.

MVP: Bedeutung für die Produktentwicklung

Über ein Minimum Viable Product, im Deutschen oft auch als Minimalprodukt oder kleinstmögliches Produkt bezeichnet, erfahren Sie, ob ein grundsätzliches Interesse am Produkt besteht und welche Wünsche die Zielgruppe an das Produkt hat, ohne dass Sie bereits in der Entwicklung Unsummen ausgeben. Leitsatz ist: Stecken Sie nicht viel Zeit und Mühe in ein Produkt, von dem Sie nicht wissen, ob es die Kunden annehmen werden. Statten Sie Ihr Produkt stattdessen nur mit den wichtigsten Funktionen aus. Diese müssen reibungslos laufen. Zusätzliche Features und Design-Elemente sind nicht erforderlich. In der ersten Entwicklungsphase des Produkts geht es weniger um großen Umsatz. Mit dem MVP lernen Sie vielmehr von Ihren Kunden und können dadurch idealerweise folgende Fragen beantworten:

  • Was sind die Grundbedürfnisse Ihrer Zielgruppe?
  • Trifft die Produktidee im Kern eine Marktlücke oder ist sie für die Zielgruppe uninteressant?
  • Welche Zusatz-Features vermissen die potenziellen Kunden?
  • Kann auf die bestehende Grundidee aufgebaut werden oder muss sie modifiziert werden, um erfolgreich zu sein?

Das MVP wurde zunächst überwiegend in Software-Entwickler-Teams genutzt. Bei der agilen Software-Entwicklung mit Kanban oder Scrum setzen sie auf den sogenannten Build-Measure-Learn-Feedback-Loop: einer Feedbackschleife aus Bauen-Messen-Lernen, bei im Rahmen der Produktentwicklung frühzeitig Kundenbedürfnisse berücksichtigt werden.

Am Anfang steht das MVP, das die sogenannten Early Adopters als erste nutzen. Als Entwickler sollten Sie im Vorfeld darauf hinweisen, dass es sich um ein rudimentäres, aber funktionsfähiges Produkt handelt. Bitten Sie außerdem um Feedback. Die Antworten können wertvolle Erkenntnisse liefern. Setzen Sie auf kleine, allmähliche Änderungen. Hat Ihre Idee Mehrwert und Sie entwickeln das Produkt zusammen mit Ihren Testern, wächst Ihr potenzieller Kundenstamm mit jeder weiteren Investition. Noch vor dem offiziellen Launch wissen Sie dank der Zusammenarbeit mit den Konsumenten, was Ihre Kunden wirklich wollen.

Definition: Minimum Viable Product

Das Minimum Viable Product, kurz MVP, ist das Produkt, welches mit kleinstmöglichem Aufwand entsteht und gleichzeitig die wichtigsten Funktionen und Anforderungen erfüllt. Im Kontext des Lean-Startup-Prinzips wenden Entwickler das Minimum Viable Product an, um ihr Produkt bei Kunden zu testen und kontinuierlich zu verbessern.

Eric Ries, Begründer des Prinzips Lean-Start-up, beschreibt Start-ups als Organisationen, die unter sehr unsicheren Bedingungen etwas Neues erschaffen wollen. Seiner Meinung nach muss man daher als Gründer ein Management-Konzept entwickeln, das sich den ständig neuen Gegebenheiten anpassen kann. Das erfordert Kreativität und Lernbereitschaft.

Das Lean-Start-Konzept basiert auf mehreren Grundprinzipien. Eines davon ist „Build-Measure-Learn“ (Bauen, Messen, Lernen). Für diesen Bereich ist das Minimum Viable Product ein äußerst wichtiger Baustein. Um herauszufinden, ob man eine Idee bis zum Ende durchziehen oder den Kurs wechseln sollte, nutzt man Feedbackschleifen. In möglichst kurzen Abständen bauen Sie Ihr Produkt, messen die Kundenreaktionen und lernen aus diesen. Zum einen erfahren Sie auf diese Weise, was den Kunden gefällt. Zum anderen lernen Sie, Ideen aufzugeben, wenn kein Bedarf an Ihrer Produktidee besteht. Das ist der Grundgedanke hinter dem Minimum Viable Product.

Das Minimum Viable Product erklärt

Das Minimalprodukt steht am Anfang der Produktentwicklung, die Kundenfeedback berücksichtigt. Es ist allerdings mehr als ein Prototyp, da die wichtigsten Features funktionstüchtig sein müssen. Es ist auch mehr als ein Stadium im Prozess. Es ist Ergebnis der richtigen Anwendung der Feedbackschleifen-Methode.

In einer schnell gezeichneten Skizze stellte Hendrik Kniberg dar, inwiefern dieser Ansatz häufig falsch interpretiert bzw. genutzt wird. Die untenstehende Skizze illustriert einen Entwicklungsprozess, bei dem der MVP-Ansatz falsch umgesetzt wurde. Jedes Symbol steht, von links nach rechts, für eine Weiterentwicklung des Produkts, das auf den Markt kommt. Die Smileys darunter stellen die Kundenreaktion dar. Das fertige Produkt ist ein Auto. Durch das Fahrzeug soll der Entwickler ein bestimmtes Bedürfnis des Kunden erfüllen.

Laut Kniberg ist das folgender Wunsch: „Ich will schnell und sicher von Punkt A nach Punkt B gelangen.“

MVP: Häufige Fehler

Das obige Bild verdeutlicht, wie MVP häufig falsch verstanden wird. Statt die Bauen-Messen-Lernen-Methode anzuwenden, haben die Entwickler einen vorgeschriebenen Weg: Am Ende soll ein Auto entstehen, das der Kunde liebt. Im Grunde verfolgen sie dabei den typischen Ansatz eines großen Produkt-Launches. Nach und nach fügen sie dem Produkt neue Funktionen hinzu, bis es voll funktionsfähig ist. Sie testen nur intern. Änderungen erfolgen selten und wenn, dann im großen Stil. Sie setzen mit ihren Ressourcen alles auf eine Karte.

Die Grafik zur Produkteinführung ohne MVP ähnelt im Verlauf der Produktentwicklung des ersten Beispiels. Erst am Ende der Kette entsteht ein nutzbares Produkt. Vorherige Werbemaßnahmen sollen das Intereses der Kunden wecken. Je näher das Veröffentlichungsdatum rückt, desto mehr Aufmerksamkeit versucht das Marketing-Team zu generieren. Die Hoffnung des Produktteams sind zufriedene Kunden. Erfüllt das Produkt allerdings nicht die durch die Werbung geweckten Erwartungen, fällt die Kundenreaktion wahrscheinlich negativ aus.

Das falsch verstandene Minimum Viable Product unterscheidet sich von der Produkteinführung ohne MVP insofern, dass die Entwickler dem Kunden bereits das erste Rad verkaufen wollen. Das befriedigt jedoch nicht die Bedürfnisse der Kunden. Denn die wollen ja ein Fortbewegungsmittel. Auch die folgenden zwei Markteinführungen beheben das Problem nicht. Sie bieten immer noch kein nutzbares Gefährt an. Offensichtlich wurde auch nicht auf Kundenfeedback eingegangen. Sonst hätte die zweite Wiederholung (das bloße Untergestell eines Autos) wahrscheinlich zumindest einen Sitz oder Antrieb gehabt. Am Ende entsteht dann doch noch ein fertiges Produkt. Der fröhliche Smiley darunter dürfte aber eher die optimistischen Erwartungen der Entwickler darstellen als die Realität. Denn als Start-up ohne Stammkunden hätten die Entwickler der Zielgruppe bei den ersten Markteinführungen kein auch nur ansatzweise zufriedenstellendes Produkt geliefert. Im Normalfall warten Konsumenten dann nicht ab, ob ein Unternehmen eventuell beim vierten Versuch ein nutzbares Produkt auf den Markt bringt. Sie wenden sich vielmehr von dem Unternehmen ab.

MVP: So geht es richtig

Bei der Entwicklung eines Minimum Viable Product sollten Sie sich auf die grundlegende Produktidee besinnen und am Bedarf des Kunden orientieren: Wer vorankommen will, der braucht ein Gefährt. Für Start-up-Gründer ist es riskant, viel Geld und Zeit in ein Produkt zu investieren, dass Kunden möglicherweise nicht interessiert. Also testen Sie Ihre Produktidee eines Fortbewegungsmittels mit einer möglichst kostengünstigen Lösung. Das Skateboard im Bild ist beispielsweise ein funktionsfähiges Gefährt. Es bietet die grundlegende Funktion eines Fortbewegungsmittels.

In diesem Szenario hatten Sie eine Produktidee. Diese setzen Sie mit einem Produkt um, das verhältnismäßig geringe Entwicklungs- bzw. Herstellungskosten verursacht. Einige Early Adopters und ausgesuchte Testkunden liefern Ihnen dann Feedback. Dieses Feedback berücksichtigen Sie bei der Anpassung/Weiterentwicklung des Produkts. Im Bild ist das ein Roller. Was lernen wir aus dem Feedback auf diese Veränderung am Produkt?

  • Die Kunden nahmen die Grundidee (Fortbewegungsmittel mit Rollen) an.
  • Einige fühlten sich unsicher auf dem Skateboard.
  • Lenken und Bremsen fällt einigen schwer.
  • Indem Sie einen simplen Lenker mit Handbremse anbauen, verbessern Sie Sicherheit, Komfort und Stabilität Ihres Produkts.

Über die nächsten Entwicklungsstufen verbessern Sie die Ausführung Ihrer Produktidee: Mit dem Fahrrad sind Kunden mit weniger Aufwand schneller unterwegs als mit einem Skatboard. Denn sie treten in die Pedale und übertragen ihre Kraft über eine Gangschaltung auf die Räder. Das Motorrad ist noch schneller und bequemer, da die Fahrer selbst keine Kraft mehr für die Beschleunigung aufwenden müssen. Für den Komfort gibt es ein neues Feature: den Sitz.

Die Feedbackschleife untermauert die Grundidee „Kunden wollen sich schnell und sicher fortbewegen.“ Deshalb verbessern Sie jedes Mal den Antrieb. Für die Geschwindigkeit ist es nicht wichtig, wie viele Räder das Gefährt besitzt. Das Motorrad erfüllt den Grundgedanken – es ist schnell und bequem. Der Smiley darunter symbolisiert zufriedene Nutzer. Dank Ihrer Testkunden haben Sie zusätzliche Alleinstellungskriterien ausgemacht. Denn wer als Unternehmen auf dem Markt überzeugen will, liefert mehr als ein nur funktionsfähiges Produkt.

Im Bild sehen Sie als letztes Symbol dann ein Auto. Das grüne Auto (Abbildung zum falschen Ansatz) erfüllt die Kundenansprüche Sicherheit und Geschwindigkeit. Es bietet darüber hinaus Platz für mehrere Personen. Das rosa Auto (Abbildung zum richtigen Ansatz) erfüllt die gleichen Kriterien.

Die Unterschiede lassen sich in der Grafik nicht komplett darstellen: Ihre Kunden wollten mehr Geschwindigkeit. Deshalb achten Sie auf ein aerodynamisches Design und bauen Sie einen Turbomotor ein. Das Feedback zeigt: Ihre Kunden wollen mehr Platz und Sicherheit, aber das Gefühl von Freiheit auf dem Motorrad wollen sie nicht missen. Also stabilisieren Sie das Gefährt, indem es wieder vier Räder bekommt. Zusätzlich bietet ein Auto im Vergleich zum Motorrad mehr Platz für Mitfahrer oder Gepäck. Mit geöffnetem Verdeck können die Käufer das Sommerwetter genießen. Da Ihren Stammkunden auch ein ästhetisches und individuelles Design wichtig ist, bringen Sie ein Produkt mit mehreren wählbaren Lackierungen und hochwertigen Armaturen heraus. Das Ergebnis:

  • Testkunden haben eine Beziehung zur Marke aufgebaut.
  • Kunden-Feedback liefert Daten, auf deren Basis Sie neue Ideen für das Produkt entwickeln können.
  • Die aus diesen Daten resultierenden Erkenntnisse zeigen auf, ob die Grundidee beibehalten oder verworfen werden sollte.
  • Menschen wollen etwas Neues, das aber nicht so sehr von Bekanntem abweicht, dass es fremd wirkt.
  • Ergo: Viele kleine Änderungen während der Entwicklung erhöhen die Akzeptanz der Kunden, sich in der nächsten Iteration auf Neuerungen einzulassen.
  • Das Minimum Viable Product benötigt weniger Ressourcen. Kleine Änderungen bringen weniger finanzielle Risiken mit sich. Kunden akzeptieren stufenweisen Preisanstieg eher als große Sprünge.

Agile Produktentwicklung mit dem MVP

Das Minimum Viable Product ist ein Bestandteil der agilen Produktentwicklung. Während des Entwicklungsprozesses unterliegt das Produkt ständiger Beurteilung. Agile Produktentwicklung zeichnet sich also durch einen veränderbaren Prozess aus. Das heißt, dass das Entwicklerteam jederzeit einen Kurswechsel unternehmen kann. Das beinhaltet meist kleine Anpassungen. Das Konzept der agilen Produktentwicklung zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:

  • Es ist iterativ, wiederholt sich also ständig.
  • Es ist inkrementell, ändert sich also schrittweise.
  • Es spart Zeit und Ressourcen durch kurze Entwicklungsphasen.
  • Es erlaubt unmittelbare Reaktionen.

Das Minimum Viable Product: Eine Frage der Definition

Das Bauen-Messen-Lernen-Prinzip mit Feedbackschleife wenden nicht nur Start-ups an. Große Unternehmen reduzieren Risiken ressourcenintensiver Vorhaben ebenfalls durch agiles Projektmanagement. Im Grunde entscheiden sich die Ansätze nur dadurch, dass große Unternehmen meist über einen bestehenden Kundenstamm und ein bekanntes Branding verfügen. Sie genießen daher im Gegensatz zu Start-ups einen Ressourcen- und Vertrauensvorschuss. Wichtig für Start-ups ist, dass sie auch ein Minimum Viable Product gemäß aktueller Standards konzipieren. Denn die Konsumenten erwarten zumindest, dass ein Produkt seine wesentliche Grundfunktion gut erfüllt.

Die Bedeutung und Verwendung des Begriffs „Minimum Viable Product“ hat sich mit der Zeit verändert. Da es in erster Linie darum geht, mit wenig Aufwand ein Produkt zu schaffen, das dem Kunden gefällt, passt der Begriff tatsächlich nicht in jedem Fall (denn bei harter Konkurrenz ist der Kunde eventuell mit bloßen Grundfunktionen nicht zufriedenzustellen). Einige Management-Experten sprechen daher inzwischen vom Minimum Awesome Product (minimal großartiges Produkt) oder dem Minimum Lovable Product (minimal liebenswertes Produkt).

Bedürfnispyramiden zeigen, welche Ansprüche ein Minimum Viable Product erfüllen muss. Damit ein Kunde ein Produkt kauft, muss es einen Bedarf befriedigen. Zunächst muss der Kunde also das Gefühl haben, dass ihm etwas fehlt. Sind die menschlichen Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf und Geborgenheit erfüllt, sehnen sich die meisten nach mehr – zum Beispiel nach Anerkennung oder Luxus. Die Ansprüche an Produkte oder Dienstleistungen lassen sich auch in solchen Bedürfnispyramiden darstellen.

Die Bedürfnispyramide in der Produktentwicklung

Ein Produkt soll den Bedürfnissen der Kunden entsprechen. Damit das Produkt dem gerecht wird, muss es funktionsfähig sein. Wer durstig ist, kauft sich eine Flasche Wasser. Dieses grundlegende Bedürfnis lässt sich leicht stillen. Man könnte daher annehmen, dass ein einziges Produkt den Markt abdecken kann. Im Grunde müsste es nicht einmal einen Markt geben, da man in Deutschland gefahrlos Leitungswasser trinken kann.

Dennoch gibt es einen großen Markt mit unterschiedlichem Wasser (still oder mit Kohlensäure, mit Früchten oder Tee versetzt), Flaschen (Glas, Plastik, verschiedene Größen) und Verschlüssen (Kronkorken, Schraubverschlüsse oder Sportverschluss). Im Supermarkt kann die Wasserabteilung leicht eine ganze Regalwand einnehmen. Jeder einzelne Anbieter versucht, ein Alleinstellungsmerkmal zu finden und gleichzeitig Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Dafür wertet er eine Bedürfnispyramide aus, die speziell die Ansprüche des Kunden an ein Produkt abbildet.

Nach der alten Definition reichte es, dass ein Minimum Viable Product die Grundbedürfnisse der Kunden erfüllen konnte, damit man an deren Feedback die eigene Produktidee prüfen konnte. Als Beispiel führen Vertreter dieses Ansatzes gerne den Streaming-Dienst Spotify an.

Das schwedische Unternehmen wurde 2006 zur Hochzeit der Musikpiraterie gegründet. Damals luden viele User Musik illegal herunter – häufig von vireninfizierten Websites. Lange Ladezeiten schmälerten das Musikvergnügen zusätzlich. Spotify fand einen Weg, Musik als Stream anzubieten und so Ladezeiten zu verringern. Die Theorie: Menschen müssen Musik nicht unbedingt physisch besitzen, solange sie die Titel im Internet hören können. Spotifys Website sah 2008 noch sehr leer aus. Die Startpage bot lediglich einen Download-Link für die Beta-Version des Spotify-Players und erklärte den Dienst. Mit der Zeit wuchs das Angebot und bot immer mehr Funktionen.

Was die Verteidiger des Konzepts eines minimal lebensfähigen Produktes in diesem Zusammenhang häufig nicht erwähnen:

  • Im Jahr 2006 waren sowohl Internetdienste als auch Übertragungsraten nicht so weit fortgeschritten wie heute. Selbst für das Herunterladen einfacher Grafiken benötigte man häufig Minuten.
  • Spotify war mit seiner Streaming-Idee ein Vorreiter, es gab praktisch keine Konkurrenz.
  • Zudem war Streaming für viele Konsumenten sehr viel bequemer als illegale Downloads, die teilweise Stunden an Zeit benötigten. Und Spotify war günstiger als die offiziellen Musik-Download-Plattformen, die für einen einzigen Song 1 bis 2 Euro verlangten.
  • Spotify erweiterte von sich aus seine Bibliothek und verbesserte den Algorithmus für die Musikauswahl.
  • Die Betreiber (ein sechsköpfiges Team) gingen schnell und effektiv auf Fehlermeldungen und Fragen ein.

Erst die Marktanalyse, dann das MVP

Dieses Beispiel zeigt: Ein Minimum Viable Product ist nicht unbedingt das Produkt, das man mit dem kleinstmöglichen Aufwand produzieren und auf den Markt bringen kann. Bevor Sie Ihre Produktidee umsetzen, analysieren Sie die Marktsituation:

  • Betreten Sie Neuland oder ist der Markt übersättigt?
  • Welche Taktiken nutzen die Marktführer in dem Bereich, um an der Spitze zu bleiben? Verdrängen sie Einsteiger durch ähnliche Angebote, kaufen sie sie auf oder stechen sie Konkurrenten tatsächlich durch Innovationen aus?
  • Erfüllt die Produktidee ein Nischenbedürfnis oder ein allgemeines Bedürfnis?
  • Was sind in dem angestrebtem Marktbereich die beliebtesten Produkte und warum? (Ästhetik, Preis, Komfort und Funktionen)
  • Welche Funktionen erwarten Kunden normalerweise/mindestens? (zum Beispiel einfaches Einloggen mit bestehenden Diensten wie Google und Facebook auf Gaming-Sites oder ABS und Klimaanlage bei einem Auto)

In einem etablierten Markt gelten bestimmte Regeln. Wer sich dort dauerhaft bewähren will, muss diese Regeln verstehen. Selbst disruptive Geschäftsmodelle orientieren sich im Kern an diesen Regeln.

Fakt

Disruption ist der Begriff für eine plötzliche Marktentwicklung. Dabei tritt ein innovatives Geschäftsmodell auf den Markt und zerstört bestehende Strukturen. So machten beispielsweise Video-Streaming-Dienste physisch existierende Videotheken weitgehend obsolet.

Das Minimum Viable Product ist immer als Teil eines agilen Entwicklungsprozesses zu sehen. Zum einen müssen Sie genau planen, wie Sie Ihr Produkt gestalten, damit Sie später Fragen zu Ihrer Produktidee beantworten können. Zum anderen sollten Sie Kunden etwas anbieten, dass eine innovative Problemlösung verspricht. Spotifys einfache Website war 2006 für musikbegeisterte Erstanwender hinnehmbar. In Zeiten KI-gesteuerter Streaming-Dienste mit dynamischen Webseiten und mobilen Downloads ginge sie höchstwahrscheinlich unter. Denn die Ansprüche sind gestiegen. So begeistern Sie Early Adopters:

  • Wecken Sie Begehrlichkeit durch (Influencer-)Posts auf sozialen Medien.
  • Durch nutzerfreundliche Gestaltung erhält Ihr MVP auf Verbraucherseiten positive Bewertungen. Das wiederum weckt das Interesse neuer Konsumenten.
  • Heben Sie die Produktidee in den Vordergrund.
  • Gutes Design erhöht die Begehrlichkeit.

Wie bei der klassischen Bedürfnispyramide folgen die Ansprüche an ein Produkt ebenfalls einer Hierarchie. Deshalb sollten Sie die meiste Energie in diese Aspekte stecken:

  • Funktionalität
  • Zuverlässigkeit
  • Nutzerfreundlichkeit

Wenn Sie Ihr Produkt als beeindruckend und innovativ bewerben, es aber gerade einmal die erwarteten Grundfunktionen abdeckt (wie in der linken Pyramide im Bild oben), ernten Sie voraussichtlich den Spott der ersten Tester bzw. Kunden.

Die rechte Bedürfnispyramide zeigt durch die violette Markierung, wie Sie die verschiedenen Ansprüche an das Minimum Viable Product gewichten sollten. Werden sämtliche Erwartungen und Bedürfnisse befriedigt (nicht jedoch übertroffen), spricht man dann von einem Minimum Awesome Product. Im Bauen-Messen-Lernen-Prozess wächst der violette Bereich innerhalb der Bedürfnispyramide idealerweise bei jeder Iteration.

Fazit

Das Minimum Viable Product ist mehr als nur ein funktionsfähiges Produkt. Im Zusammenspiel mit der Bauen-Messen-Lernen-Methode lässt sich mit diesem Konzept das Risiko für Start-ups minimieren. Zudem ist es Grundstein für eine agile Entwicklung. Arbeiten Sie vor der ersten Iteration eine grundlegende Idee heraus, über die sich ein Kundenbedürfnis erfüllen lässt. Um gehobene Ansprüche zu befriedigen, arbeiten Sie unter Berücksichtigung des Feedbacks dann auch an den Bereichen Zuverlässigkeit, Nutzerfreundlichkeit und Begehrlichkeit.